„Broadway“ – Ein Kabarett in den Roaring Twenties

Die Geschichte ist fiktiv, das Drumherum ist es nicht.

New York in den „Roaring Twenties“, eine Stadt im Vergnügungsrausch mit dem Broadway als Zentrum. Es war eine Zeit, als alles möglich schien. Die Wirtschaft des Landes florierte, die Bequemlichkeiten der modernden Technik wurden Teil des Alltags (Autos, Elektrizität, Telefon) und kulturell und gesellschaftlich herrschte Aufbruchstimmung: das junge Kino blühte, Jazz sorgte für neuen Schwung und die „Flapper“ verkörperten einen neuen Frauentyp, der sich nicht mehr alles sagen ließ. Hinzu kam, dass die Prohibition zwar Alkohol verbot, Schnaps aber dennoch in Strömen floss – sogar mehr als je zuvor. Dass am Ende der Feierlichkeiten die Weltwirtschaftskrise lauerte, konnte ja niemand ahnen.

In dieser Zeit spielt „Broadway – Eine Straße in Amerika“. Und man spürt auf jeder Seite, auf jedem Bild die Liebe, die Autor und Zeichner Jean-François Bergeron alias Djief (White Crows) für diese Zeit empfindet. Die Panels knistern vor Lebensfreude und Begeisterung für das Nachtleben, für die Theater und Kabaretts der im Licht der Reklame hellerleuchtenden Straßen.

Djief erzählt die Geschichte des Chapman‘s Paradise, eines kleinen Kabaretts, dessen Besitzer sich (im fortgeschrittenen Stadium der Syphilis) gerade eine Kugel in den Kopf gejagt hat. Seine Brüder, die dem Vergnügungsgewerbe eher fern stehen, krempeln die Ärmel hoch, um das Vermächtnis des Verstorbenen zu verwirklichen. Nämlich eine Show auf die Beine zu stellen, die es mit der mächtigen Konkurrenz aufnehmen kann. Aber schon bald zeigt sich, dass das gar nicht so einfach ist. Denn längst nicht alle Mädchen mit langen Beinen haben auch Talent für die Bühne. Nicht jeder Regisseur ist ein Meister seines Fachs. Nicht alle Tischler können Bühnen bauen. Das Publikum ist verwöhnt. Und die Mafia will auch ihren Teil.

Was Djief auf nur 48 Seiten auf die Beine stellt, ist erstaunlich und muss sich vor hochgelobten historischen TV-Serien wie „Boardwalk Empire“ oder „The Knick“ nicht verstecken. Denn trotz aller Akkuranz und Liebe zum Detail, seine Charaktere verliert Djief nie aus den Augen. Wenige Bilder und Dialoge reichen aus, um die erfolglose, etwas naive Schauspielerin und Tänzerin Fanny King (was für ein Name!) in unserem Herz zu verankern. Nicht zu vergessen ihr Frettchen Whitey, das sie in einem Käfig mitschleppt, sehr zum Verdruss der Kolleginnen. Aber Fanny ist nur eine von vielen wunderbaren Figuren, die den Broadway Djiefs beleben. Da sind die Kabarett-Novizen George und Lenny Chapman, die bereits eine Schuhfabrik ruiniert haben und auch am Theater völlig überfordert sind. Deren Mutter, die vom Rollstuhl aus Tacheles redet. Die überschätzte Diva, der zynische Regisseur, die nette Diva von der Show gegenüber und und und…

Es ist kaum zu glauben, dass „Broadway“ schon nach zwei Bänden vorbei sein soll. Ausnahmsweise hätte man sich wirklich mal mehr gewünscht.

Djief: Broadway – Eine Straße in Amerika Bd. 1. Splitter, Bielefeld 2015. 48 Seiten, € 14,80