Halloween-Special: Horror-Highlights von Splitter

Bereits in diesem Jahr feierte der Bielefelder Splitter Verlag seine 1000. Edition, 2016 steht das zehnjährige Verlagsjubiläum an. Die Backlist hat folglich eine Menge zu bieten. Bevor Michael Myers morgen sein alljährliches Unwesen treiben wird, lohnt noch ein kurzer Blick auf einige Schockerperlen der Verlagsgeschichte.

 
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Creepy präsentiert: Richard Corben – Gesamtausgabe

Die vom amerikanischen Warren Publishing Verlag publizierten Horrormagazine „Creepy“ und „Eerie“ waren kultisch verehrte Entwicklungslabore für zahlreiche Comickünstler, die heute längst zu den big names ihrer Zunft gehören, darunter auch Couleur-directe-Pionier Richard Corben. In den 70er und 80er Jahren in Deutschland noch verfemt und regelmäßig Gast auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende (damals noch) Schriften, präsentiert diese monströse Werkschau mit angemessen bibliophilem Appeal sämtliche Kurzgeschichten und Illustrationen, die Corben zwischen 1970 und 1978 für beide Magazine angefertigt hat. Gemeinsam mit wechselnden Szenaristen kämpft sich Corben durchs Horror-Unterholz, adaptiert Literaturklassiker wie Edgar Allan Poe oder haut gallige short stories mit zynischer Pointe heraus, die noch viel über den Underground-Geist jener Tage verraten, dem Corben entstammt. Gegenüber der amerikanischen Ausgabe besitzt die deutsche Edition deutlichen Mehrwert. So hat man nicht nur das Format vergrößert, sondern auch sämtliche Seiten behutsam restauriert. Fazit: Einen besser edierten Corben wird man weltweit nicht finden.

Richard Corben: Creepy präsentiert: Richard Corben. Splitter, Bielefeld 2014. 352 Seiten. 49,80 Euro
 
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Edgar Allan Poe – Geister der Toten

Edgar Allan Poe ist bis heute steter Wegbegleiter im Werk Richard Corbens geblieben. Dieser Sammelband vereint 15 Kurzgeschichten Poes, die Corben zwischen 2012 und 2014 als Comic adaptiert hat. Die Klassikerdichte ist entsprechend hoch: Lebendig begraben, Der Untergang des Hauses Usher, Die Maske des roten Todes, Der Doppelmord in der Rue Morgue… Ebenso hat Corben weder seine Vorliebe für expressiven Farbeinsatz noch für surrealistisch anmutende Körperdeformationen verloren. Obgleich die Vorlagen aus der Hand eines einzigen Autors stammen, modernisiert sie Corben ausgesprochen variabel. Ob klassische Gothic-Novel-Atmosphäre und dezenter Splatter-Einsatz oder verspielte Meta-Ironie und kruder Body Horror, wie sie das gegenwärtige Horrorkino bestimmen, stilistisch weiß er jede Spielart des Genres souverän einzusetzen.

Richard Corben, Edgar Allan Poe: Geister der Toten. Splitter, Bielefeld 2015. 216 Seiten. 29,80 Euro

 
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Creepy präsentiert: Bernie Wrightson – Gesamtausgabe

Ein weiterer amerikanischer Klassiker, dem eine „Creepy“-Werkschau spendiert wurde, ist Bernie Wrightson. Wrightsons spektakuläre Schraffurtechnik, sein Montage- und Licht/Schatten-Einsatz arbeitet sich stärker als Corben an den europäischen Filmklassikern des Horrors ab, am expressionistischen Kino der Weimarer Republik und an den verspielten Modernisierungsversuchen der Hammer Studios. Gleichwohl: Die Attitüde vieler seiner Kurzgeschichten steht einem klassischen Urtext des Horrors besonders nahe, nämlich Mary Shelleys Frankenstein. Wrightsons Monster sind nicht bloße Abspaltungen des Abjekten und Verdrängten, sondern auch tragische Figuren, die Furcht und Mitleid im gleichen Maße erzeugen.

Bernie Wrightson: Creepy präsentiert: Bernie Wrightson. Splitter, Bielefeld 2014. 144 Seiten. 22,80 Euro

 
 
 
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Die Nacht der lebenden Toten

Spätestens mit „Die Nacht der lebenden Toten“ hat George A. Romero 1968 dem Horrorfilm radikale Gesellschaftskritik injiziert. Weiße Mittelstandsfamilien, die sich gegenseitig auffressen, militante Bürgerwehren, die sich wie der Ku-Klux-Klan gerieren – Romeros Zombies grundieren auf der Furcht vor dem Kollaps der Zivilisation, mit metaphysischem Schnickschnack ist ihnen nicht mehr beizukommen. Jean-Luc Istin, derzeit vermutlich einer der meist beschäftigten Comicautoren Frankreichs, geht mit seiner dreiteiligen Adaption (Band 2 erscheint im März 2016) einen Schritt zurück. Seine Variation der Vorlage erzählt vom Ausbruch der Apokalypse als Krise der Familie. Anspielungen aufs Original finden sich natürlich zuhauf, ansonsten wandelt man aber durch eigenständig konstruierte Zombie-Welten, die sich von der monolithischen Größe des Films unbeeindruckt zeigen.

Jean-Luc Istin, Elia Bonetti: Die Nacht der lebenden Toten. Bd. 1: Vatersünden. Splitter, Bielefeld 2014. 56 Seiten. 14,80 Euro

 
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Die Herberge am Ende der Welt – Graphic Novel

In Patrick Prugnes (Zeichnungen) und Tiburce Ogers (Text) „Die Herberge am Ende der Welt“ wird viel Lovecraft-Stimmung versprüht, und das beginnt bereits mit dem Setting: Im Jahre 1884 gastiert der Schriftsteller Edgar Saint-Preux in einem verlassenen Fischerdorf irgendwo an der bretonischen Küste, um Entspannung und Impulse für seinen folgenden Roman zu finden. In der titelgebenden Herberge berichtet ihm der altersschwache Herbergsvater vom Verbleib der restlichen Bewohner. In Rückblenden während regendurchtränkter Nächte und in geheimer Gegenwart scheuer, geheimnisvoller Kobolde erzählt er von dem 50 Jahre zurückliegenden rätselhaften Verschwinden des jungen Mädchens Irena, deren Leiche nie gefunden wurde. Nach über zehn Jahren taucht Irena jedoch urplötzlich wieder im Dorf auf. Ihre Geschichte bleibt indes ungeklärt, weil sie ihre Stimme verloren hat. Stattdessen verfügt sie aber nun über metaphysische Fähigkeiten, mit deren Hilfe sie kranke Menschen und Tiere heilen kann. Doch häufen sich im Dorf seit ihrer Rückkehr auch rätselhafte Phänomene: Immer mehr Bewohner verrichten Besessenen gleich stoisch und regungslos ihre Arbeit oder werden ermordet, später verbreitet sich eine pestartige Krankheit. „Die Herberge am Ende der Welt“ ist eine Spukerzählung, die gehobene Lagerfeuerromantik verbreitet. Der Gruselfaktor bleibt dezent und wird im weiteren Verlauf zunehmend Elementen der Fantasy überlassen. Das macht die als Trilogie konzipierte Serie, die vom Verlag komplett in einem Band als so genanntes Splitter Book veröffentlicht wurde, zu einem reizvollen All-Ager, der auch jüngeren Semestern empfohlen werden kann.

Patrick Prugne, Tiburce Oger: Die Herberge am Ende der Welt. Splitter, Bielefeld 2010. 144 Seiten. 19,80 Euro

 
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Malcolm Max

Seine Meriten hat sich Geisterjäger „Malcolm Max“ ursprünglich im Hörspielsektor erarbeitet. Als deutsche Comic-Eigenproduktion des Splitter Verlags hat er nicht an Strahlkraft eingebüßt: stimmungsvolle Schauplätze im viktorianischen England, ein Hauch Steampunk, der das Genre-Korsett lockert, viele Einflüsse aus der klassischen Schauerliteratur, eine ungemeine Fabulierfreude, die den Wortwitz nicht scheut, und als Klammer des Ganzen die brillante Zeichenkunst Ingo Römlings, der mittlerweile als Zeichner der „Star Wars Rebels“ auch international Fuß gefasst hat. So halten Malcolm Max und seine Kollegin, die Vampirin Charisma, nicht nur die Grabräuber und mad scientists Londons in Schach, sondern treten auch den Beweis an, dass ambitionierte phantastische Genrekunst nicht zwangsläufig eine Importangelegenheit sein muss.

Ingo Römling, Peter Mennigen: Malcolm Max. Zwei Bände. Splitter, Bielefeld 2013/2014. 72/64 Seiten. 15,80/14,80 Euro

 
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Heiligtum

Heiligtum“ war der Anfang einer langen Reihe an Veröffentlichungen des französischen Szenaristen und Comiczeichners Christophe Bec. Die Trilogie entwickelte sich schnell zum Verlagsbestseller, was sich vielleicht aus Becs eklektischen Zugriff auf Genreformeln erklärt. Denn hinter dem modernen Anstrich – Becs Vorliebe für fotorealistische Zeichnungen ist werksübergreifend augenscheinlich – verbirgt sich ein geradezu demütiges Traditionsbewusstsein. Für „Heiligtum“ lauten die Referenzpunkte H.P. Lovecraft und, etwas konkreter, „Alien“: In naher Zukunft empfängt das amerikanische U-Boot USS Nebraska merkwürdige Signale eines sowjetischen U-Boot-Wracks, das sich in der Nähe eines gigantischen Artefakts befindet. Schon bald sieht sich der rasch ausgesandte Suchtrupp mit der bangen Frage konfrontiert, ob in den monströsen Höhen des bizarren Tempels womöglich noch weiteres Leben existiert… Die Erzählung lässt genügend Raum für Spekulationen, weswegen nun das zweiteilige Prequel „Heiligtum Genesis“, dessen erster Band gerade erschienen ist, die Geschichte des mysteriösen Ortes näher beleuchtet.

Christophe Bec, Xavier Dorison: Heiligtum. Drei Bände. Splitter, Bielefeld 2010. 64/56/72 Seiten. 13,80/13,80/14,80 Euro

 
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Die Bruderschaft der Krabbe

Die französische Trilogie bietet ein Gipfeltreffen der berühmtesten Archetypen des Horrors: Frankenstein, Dracula, die Mumie, der Wolfsmensch und noch einige Unholde mehr setzen der „Bruderschaft der Krabbe“ ordentlich zu. Dabei handelt es sich um eine fünfköpfige Gruppe Kinder, die allesamt in einer Klinik ihrer Operation harren, um endlich von der (eingebildeten?) Krabbe erlöst zu werden, die sie von innen aufzufressen droht. So jedenfalls deuten die Jungen den Grund ihres Krankenhausaufenthalts. Ob dies bloß Ausdruck ihrer kindlich-wahnhaften Fantasie ist oder die Kinder tatsächlich Opfer einer großangelegten Verschwörung sind, sie eigentlich als Materialzulieferer für den Bau einer gefährlichen Monterkrabbe dienen, ist ungewiss. Allerdings finden sich die fünf nach ihrer OP in einem verfallenen Schloss wieder, dessen Graf eine gewisse Ähnlichkeit zu Max Schrecks Nosferatu aufweist… „Stand by Me“ im Herzen der Hölle: Wer von der Innovations- und Regenrationskraft des abseitigsten aller Genres nicht überzeugt ist, dem sei dieser bildgewordene Fiebertraum zur Vorurteilsüberprüfung nahegelegt. Jean-Baptiste Andreae und Mathieu Gallié arbeiten sich an der Ikonografie des Schreckens ab, spielen mit dem psychoanalytischen Metaphernfundus, der die Horrorgeschichten seit ihren Anfängen begleitet, und erzählen ganz beiläufig auch noch eine tragische Abenteuergeschichte über das Ende einer Kindheit.

Jean-Baptiste Andreae/Mathieu Gallié: Die Bruderschaft der Krabbe. Drei Bände. Splitter, Bielefeld 2010/2011. Je 56 Seiten. Je 13,80 Euro