„Die besten Geschichten können von allen Altersgruppen genossen werden“

Mit „Weltraumkrümel“ hat US-Comiczeichner Craig Thompson Neuland betreten. Es ist nicht nur sein erster All-Age-Comic, sondern auch der erste in einer opulenten Kolorierung – und dazu noch ein Heidenspaß! Mit Comic.de sprach er über seinen Arbeitsalltag, das Zeichnen und natürlich Violets Abenteuer.

 

Weltraumkruemel_Cover-KopieHallo Craig, danke, dass du dir Zeit für uns genommen hast! Kannst du unseren Lesern erzählen, wie du das Medium Comic für dich entdeckt hast?

Meine Faszination für Comics ist eng verbunden mit meiner Herkunft aus einer ärmlichen Arbeiterfamilie. Da sich meine Eltern bis zu meinem achten Lebensjahr keinen Fernseher leisten konnten, waren Comics mein erstes visuelles Medium. Allerdings bekamen wir die Sonntagszeitung mit den Farbcomicstrips. Außerdem hatten wir bis auf die Bibel keine Bücher im Haus; Lesen habe ich durch Comicstrips wie z. B. „Die Peanuts“ von Charles Schulz gelernt. Im Alter von neun Jahren begann ich dann im Sommer 40 Stunden pro Woche auf Feldern und Farmen zu arbeiten. Ich bekam einen Dollar pro Stunde, was bedeutete, dass ich für zwei Stunden Arbeit drei Comics kaufen konnte. Der Traum, eines Tages meine eigenen Comics zu entwerfen, mich zu Hause zu verkriechen und an einem Tisch zeichnen zu können, hat mich die langen, dreckigen Tage voll ermüdender Arbeit ertragen lassen.

WK1Wann hast du entschieden, Comiczeichner zu werden? Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

Auf der Highschool war ich nicht an Comics interessiert und träumte stattdessen davon, Trickfilmzeichner zu werden. Ich brachte mir selbst das Cartoonzeichnen bei, aber so, wie es mit Film und Animation verknüpft ist. Am Ende der Highschool war ich desillusioniert. Zum einen hatte ich als armes Arbeiterkind keine Ahnung, wie ich den Besuch einer Kunsthochschule finanzieren oder Zugang zur elitären Trickfilmindustrie erhalten könnte. Zum anderen hat mich die Industrie selbst entmutigt, da es Hunderte, manchmal Tausende benötigt, um einen Film zu verwirklichen. Der beste Job scheint der des Regisseur oder Schlüsselbildanimators zu sein, aber diese Anstellungen sind rar und ich wollte alles machen: die Geschichten schreiben, die Figuren entwerfen, die Sets bauen, das Konzeptdesign ausarbeiten, die Rollen spielen. Das war der Moment, in dem ich die Comics wiederentdeckte und erkannte, dass es ein potentes Medium für Selbstentfaltung ist: eine Person kann jedes Element des Geschichtenerzählens kontrollieren.

WK2Seit deinem Debüt 1999 mit „Good Bye, Chunky Rice“ hast du viele Auszeichnungen und Nominierungen erhalten. Haben sie in irgendeiner Weise Einfluss auf deine Arbeit gehabt?

Für mich waren die wichtigsten Auszeichnungen die zwei Eisners, die Will Eisner in seinem letzten Lebensjahr überreicht hat. Er war gütig und großzügig und ein großes Vorbild dafür, dass man sein Leben dem Comic verschreiben konnte ohne zynisch oder verbittert zu werden oder sich von der Realität abzuschotten. Er war ein Humanist und Extrovertierter und nicht jemand, der zusammengebrochen war oder von der Maschinerie einer Industrie ausgebeutet wurde.

Kannst du uns einen Einblick in deinen Arbeitsalltag geben?

Mein Arbeitstag hängt davon ab, ob ich schreibe oder zeichne. Schreiben ist formlos und wirr. Manchmal kannst du monatelang arbeiten und hast nichts Produktives zum vorzeigen, ein anderes Mal gelingt dir ein immenser Durchbruch an einem einzigen Nachmittag. Ich schreibe auf Reisen, am Küchentisch, im Hinterhof oder bei einem Spaziergang… Zeichnen tu ich hingegen sehr diszipliniert nach einer Stechuhr-Mentalität in meinem aufgeräumten Studio. Sobald ich mit der Arbeit an einem Comic beginne, ähnelt mein Arbeitsalltag dem von jedem anderen auch, startet so gegen 9 Uhr und dauert bis 18 Uhr… Das Aufbauen und Zeichnen der Seiten geschieht in der ruhigen Einsamkeit des Morgens, wird vom Mittagessen unterbrochen, dann das Inken am Nachmittag, wobei ich Musik oder Podcasts höre oder mit einem Zeichnerkumpel arbeite.

WK3Viele deiner Comics enthalten Autobiographisches. Ist es manchmal nicht schwierig, so viel von sich preiszugeben oder von anderen nur auf diesen Aspekt angesprochen zu werden?

Ja und nein. Als 2003 „Blankets“ erschien, fühlte ich mich überwältigt und zerbrechlich zugleich angesichts der filigranen Linie zwischen dem Craig auf Papier und dem im realen Leben. Wohl oder übel lernte ich Grenzen zu ziehen. Dank der heilenden Kraft der Zeit steht mir die Figur aus dem Comic nicht mehr so nahe und führt ein eigenes Leben. Zu Beginn meiner Karriere diente alles Autobiografische dazu, Zugang zu intimen Geschichten zu bekommen, und war vielleicht auch meiner Faulheit geschuldet, um keine Story aus dem Nichts entwickeln zu müssen. Nun genieße ich die Herausforderung, persönliche Erfahrungen in Fiktion umzuwandeln.

Der Großteil deiner Comics ist außerdem in schwarz/weiß gehalten. Welchen Reiz üben s/w-Zeichnungen auf dich aus? Welche Vor- und Nachteile bieten sie dir beim Erzählen?

Schwarz und weiß ist die reinste und intimste Zeichenform. Bei Büchern wird der Leser durch einen technologischen Filter, den Schriftsatz, auf eine Armlänge Abstand gehalten, aber das Zeichnen in schwarz und weiß ist der handgeschriebene Liebesbrief eines Autors an die Leser. Meiner Meinung nach ist das beste an Zeichnungen der Strich, die Kalligraphie, ohne Farbe oder Ebene, die technische Prozesse sichtbar macht und sie dadurch verkompliziert oder von ihr ablenkt.

WK4Weltraumkrümel“ ist in mehrfacher Hinsicht ein Novum: es ist dein erster All-Age-Comic und der erste in Farbe noch dazu. Kannst du uns etwas über die Entstehungsgeschichte erzählen?

Nun, gerade noch habe ich erklärt, warum ich schwarz/weiß präferiere… Doch für den Kindercomicmarkt, zumindest für den amerikanischen, ist Farbe eine Grundvoraussetzung. Dasselbe gilt anscheinend auch für den erwachsenen Graphic Novel-Markt, wo sich die Leser, geprägt durch das Internet, nach Farbe sehnen. Farbe war also eine Chance, etwas Neues auszuprobieren und der Geschichte die Chance zu geben, eine größere Leserschaft zu erreichen.

Die Kolorierung selbst ist natürlich nicht von mir, sondern von Dave Stewart – dem mit Preisen ausgezeichneten Koloristen, der vor allem durch seine Arbeit an „Hellboy“ bekannt ist. Wir kennen uns seit fast 20 Jahren aus unserer gemeinsamen Zeit bei Dark Horse Comics, dem letzten richtigen Job bevor wir Freiberufler wurden. Die Zusammenarbeit lag also auf der Hand. Dave brachte meinen Zeichnungen neue Ebenen an Texturen, Tiefe, Licht, Atmosphäre und Temperatur.

WK5War es eine Herausforderung, eine Geschichte zu erzählen und zu zeichnen, die auch uneingeschränkt für Kinder geeignet ist? Was lag dir bei „Weltraumkrümel“ besonders am Herzen?

Der Comic ist viel linearer als meine bisherigen Arbeiten. „Habibi“ ist bewusst nichtlinear und in der Tradition des arabischen Geschichtenerzählens. „Weltraumkrümel“ folgt jedoch einem eher klassischen Abenteuer-Plot in drei Akten, so wie es auch die Filme meiner Jugend tun. Es war eine große Lernerfahrung, innerhalb der Grenzen dieser Struktur zu arbeiten und herauszufinden, wie man auf jeder Seite einen Lacher platzieren kann. Dieser Comic hat nicht den Sex, die Gewalt oder die Rechercheintensität von „Habibi“; davon abgesehen habe ich beim Schreiben einer für Kinder zugänglichen Geschichte keine Unterschiede festgestellt. Die besten Geschichten, wie Pixar-Filme, können von allen Altersgruppen genossen werden. Am wichtigsten waren mir die Herzen der Figuren und die Ehrlichkeit in ihrem Verhalten. Die von ihnen bewohnte Science-Fiction-Welt war die Würze, während die richtige Handlung in der Vertrautheit lag, die die Figuren miteinander teilen.

WK6Warum hast du dich für ein Science-Fiction-Setting entschieden? Hast du einen Bezug zum Genre?

Der Hauptgrund für die Wahl war mein erster Leser: ich selbst im Alter von acht Jahren, als ich geradezu besessen von „Star Wars“ und Raumschiffen war. „Science“ basiert hier nicht auf Wissenschaft oder der echten Erforschung des Weltalls. Die Galaxie in „Weltraumkrümel“ ist klein genug, um sie innerhalb weniger Tage zu durchqueren, ohne dabei Lichtjahre in einen kryonischen Schlaf zu verbringen. Sie hat mehr mit dem Pazifik und dessen Schleppdampfern, Lastkähnen, Fischerdörfern an den Küsten und schwimmenden Müllinseln gemeinsam. Und natürlich die Wale. Sofern überhaupt, erlaubt mir das Genre die größtmöglichste künstlerische Freiheit, etwas aus dem Nichts zu erschaffen, und die kindliche Erfahrung, eine realistische Welt auf Papier zu entwerfen.

Mystik und Christentum spielen auch in „Weltraumkrümel“ eine zentrale Rolle. Violets neuer Freund Elliot muss mit seinen Visionen einiges mitmachen. Warum hast du dich für das Buch Jona und die Wale als zentrales Element des Comics entschieden?

Sobald ich realisiert hatte, dass eine Hauptfigur lebendig von einem Wal verschlungen wird, erinnerte es mich an „Moby Dick“ und „Pinocchio“ und natürlich an Jona im Wal, den Mythos auf dem sie beruhen. Das Hühnchen Elliot ist in gewisser Hinsicht mein Double geworden; ein Bücherwurm, Neurotiker, besessen von dechiffrierten esoterischen Träumen und speiend vor biblischen Referenzen. Meine ersten zwanzig Lebensjahre wurden stark durch die Bibel geprägt, es fällt mir also schwer die Bibel als Sprungbrett für meine Geschichten zu vermeiden.

Zum Schluss noch die Frage aller Fragen: Woran arbeitest du gerade? Worauf können sich deine Fans freuen?

Momentan arbeite ich nicht aktiv an irgendetwas, da ich fast acht Monate auf Buchtour bin. Sobald ein neuer Comic erscheint, ist es meine Aufgabe, zu reisen und für ihn zu werben, so wie Eltern ihrem Kind dabei helfen, die nötigen Fähigkeiten zu erlangen, um in der Welt allein zurecht zu kommen. Aber Träume für zukünftige Projekte habe ich bereits im Kopf. Wenn ich wieder zuhause bin, werde ich wohl einige vernachlässigte Projekte aus der Schublade ziehen, die ich vier Jahre zuvor begonnen hatte, bevor „Weltraumkrümel“ meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Eines dieser „missachteten“ Projekte ist ein Reisebericht in Kooperation mit dem französischen Cartoonisten Edmond Baudoin, ein anderes ist ein Erotikbuch und das dritte ein Buch über China, das intensive Recherchen erfordert. Das ist alles, was ich momentan verraten kann.

Vielen Dank für das Gespräch!

Gern geschehen!

 

Foto: Alicia J. Rose

Abb. aus „Weltraumkrümel“ © Craig Thompson/Reprodukt