Lando Calrissian ist ein unverbesserlicher Ganove und Spieler. Mehr als einmal hat er sich selbst und seinen kybernetisch verbesserten Kumpel Lobot durch seine zwielichtigen Geschäfte in ernste Gefahr gebracht. Einer dieser sagenumwobenen, letzten und großen Coups soll das kreativ geführte Import-Export-Unternehmen des Lebemanns endlich von seinen horrenden Schulden befreien. Die mürrische Ugnaught-Historikerin Korin soll Calrissian an Bord eines Schiffes begleiten, das voll beladen mit Kunstgegenständen von unschätzbarem Wert ist. Der Haken an diesem „todsicheren Ding“: Das gekaperte Schiff ist im Besitz von niemand geringerem als seiner Exzellenz Imperator Palpatine höchstpersönlich…
„Star Wars“-Ableger sind immer ein erzählerischer Drahtseilakt. Die populäre Filmreihe lebt vor allem von der Konstellation und Wechselwirkung vieler Charaktere. Lenkt man den Fokus auf ein paar wenige, lösen sich viele dieser spannenden Muster auf und verlangen nach Ausgleich. Während die optisch zwar erstklassige, inhaltlich aber eher durchwachsene Miniserie um Prinzessin Leia an genau diesem Umstand krankte, wollte man bei Marvel offenbar nichts dem Zufall überlassen, als es um das eigene Abenteuer von Han Solos altem Weggefährten Lando ging.
Der „Star Wars“-erprobte Autor Charles Soule (Obi Wan & Anakin, Das Erwachen der Macht, Der Tod von Wolverine) begeht dabei nicht den Fehler, die Wechselwirkung mit abwesenden Charakteren wie Han, Chewie oder Leia mit Platzhaltern zu ersetzen, sondern hat gut daran getan, mit Kopfgeldjägerin Channeth oder Ugnaught-Dame Korin unverbrauchte Charakterkonzepte in seinem waghalsigen, aber durchweg gelungenen Mix aus kultiger „Heist-Comedy“ im Stil der Ant-Man-Verfilmung und düsterem Weltraumhorror in der Tradition von „Event Horizon“ zu etablieren.
Gerade letzterer Teil der Handlung profitiert enorm von den groben Tuschezeichnungen von Alex Maleev. Mehr als einmal werden sich Grusel-Freunde an das kürzlich als TV-Serie gestartete Exorzismus-Drama „Outcast“ aus dem Hause Cross Cult erinnert fühlen. Alles in allem ist auf der ganzen Linie geglückt, was ein Charakter-Spinoff ausmachen sollte: nämlich der betrachteten Figur mehr Tiefe und Background zu verleihen. Dass man auf viele lieb gewonnene Komponenten des „Star Wars“-Universums verzichtet, geht dabei völlig in Ordnung. Denn mit dem extrem eigensinnigen Konzept bei der Marvel-Redaktion durchzukommen, verdient mindestens genau so viel Respekt wie das großartige und sehr unterhaltsame Resultat.
Übrigens: Lando-Schauspieler Billy Dee Williams wird zu Gast auf der diesjährigen „German Comic Con“ in Dortmund sein. Wer versuchen will, sein Lando-Comic dort signieren zu lassen, muss auch kein schlechtes Gewissen ob des fehlenden Comic-Kontextes haben. Williams spielte in Tim Burtons legendärer Batman-Verfilmung den Anwalt „Harvey Dent“ alias „Two-Face“.
Charles Soule, Alex Maleev: Star Wars Lando. Panini, Stuttgart 2016. 116 Seiten, Softcover, 14,99 € / Limitiertes Hardcover, 29,00 €