„Die schönen Momente“ – Geschichten, die das Leben schrieb

die_schoenen_momente_covEin Vater sinniert über seine nun erwachsenen Kinder und sehnt sich nach den gemeinsamen vergangenen Momenten mit ihnen. Zwei Fremde – ein Mann und eine Frau – treffen sich am Strand zum Nacktbaden – Seitensprung inklusive? Ein altes Ehepaar erinnert sich an seine ersten gemeinsamen Jahre. Weihnachten – ein Familienvater macht seiner Frau ein gut gemeintes, aber verstörendes Geschenk. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Facebook-Bekanntschaft. Zwei Männer sprechen an einem lauen Sommerabend über ihre Väter. Noch einmal Facebook: sind virtuelle Likes wichtiger als echte, lebendige Momente? Ein Vater macht seiner Tochter das vermeintlich ultimative Geburtstagsgeschenk – doch der Schuss droht nach hinten loszugehen.

„In dem Moment, in dem er uns durch die Finger rinnt, erkennen wir, dass es ein schöner war.“ So thematisiert Jim seinen neuen Band „Die schönen Momente“, der insgesamt zwölf Kurzgeschichten vereint. Genau: Kurzgeschichten. Er entfernt sich damit massiv von seinen clever konstruierten Graphic Novels und Zweiteilern über Liebe und menschliche Dilemmas. Hier, mit diesem ungewöhnlichen Band, huldigt er Momenten. Ganz bewusst. Kurzen, unscheinbaren Momenten. Nicht den wichtigen Ereignissen im Leben, wie Geburt, Hochzeit oder auch Tod. Es sind Momente, die vorüber sind, ehe man sich ihrer bewusst wird. Das können kleine Fenster in das Leben der jeweiligen Protagonisten sein. Kurze, bebilderte Gedanken. Unverhoffte Begegnungen. Kleine Gespräche, da dann unkompliziert aufgelöst werden, wenn beispielsweise einer der beiden Beteiligten seinen Vater ganz einfach anruft, als nur über ihn zu reden. Dabei muss es nicht unbedingt eine Pointe in jeder Story geben. Manche enden mit einem versöhnlichen Gedanken, einem Vorsatz. Andere wieder mit einer Portion Humor. Oder dann doch per Pointe.

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Bekannt wurde Jim (der eigentlich Thierry Terrasson heißt), als er unter seinem zweiten Pseudonym Téhy den Science Fiction-Techno Thriller „Yiu“ schrieb, der in zwei Serien ebenfalls im Splitter Verlag vorliegt. Danach erschienen diverse Graphic Novels, die so gar nichts mehr mit SF zu tun hatten und zwischenmenschliche Beziehungen und Motive zum Thema hatten. Jim schafft es die warmherzige, melancholische und lebensbejahende Atmosphäre dieser Graphic Novels („Wo sind die großen Tage geblieben?“) und Zweiteiler („Eine Nacht in Rom“ und „Helena“) auch in den jeweils wenigen Seiten seiner Kurzgeschichten, die teilweise wie Fingerübungen oder Versuchsballons für längere Storys anmuten, zu erzeugen. Dabei bleibt er trotz aller Prägnanz stets gefühlvoll und verpackt bisweilen schwere Themen ganz leicht und elegant in seiner ureigenen angenehmen Art und Weise. So fühlt man sich als Jim-Leser dann doch wieder zuhause.

Auch ein kleiner Clou für alle, die seine Arbeiten kennen, hat Jim in das Album eingebaut, indem er zwei Kurzgeschichten verbindet. Zuerst reaktiviert er die impulsive und lebenslustige Marie, seine Hauptfigur aus „Eine Nacht in Rom“ und lässt sie eine Episode bestreiten, in der sie als gealtertes Model für eine erotische Fotoserie posiert. Dann treffen wir auch Raphael wieder, der Marie damals nach 20 Jahren zu dieser gemeinsamen Nacht wieder traf. Raphael hat inzwischen zwei Kinder, die er vergöttert. Marie und er begegnen sich nicht wissentlich, haben aber im Epilog eine gemeinsame Szene, die jeder als vager Gedanke einzeln wahrnimmt, bis beide wieder in ihren Alltag eintauchen. Ein schöner Kniff, ein weiterer, kurzer Moment, der vorüber ist, ehe er fassbar ist, ehe man ihn begreift oder versteht. Jims Zeichnungen sind dabei stets großzügig angelegt. Sie sind farbenfroh und trotzdem überaus stimmig. Hervorragende Mimiken und Gesichtsausdrücke spiegeln nuanciert die Gefühle seiner Personen wider. Dabei bleibt Jim detailliert und passt seine Umgebungen atmosphärisch an die Handlung und an die Protagonisten an. So bilden Paris oder Venedig, ein Urlaubsstrand, späte Abende oder frühe Morgen, eine rauschen Kneipennacht oder eine Vernissage die Kulissen seiner Geschichten. Wer Jims Arbeiten kennt und schätzt, wird auch von diesen Kurzgeschichten angetan sein.

Jim: Die schönen Momente. Splitter, Bielefeld 2016. 144 Seiten, 24,80 Euro