Die Adaption des Klassikers von H.G. Wells – „Die Zeitmaschine“

London, 1895: ein nicht namentlich benannter Wissenschaftler hat seine Freunde zu einer kleinen Demonstration eingeladen. Kurz vorher hatte er dem staunenden Kreise erklärt, neben den bekannten drei Dimensionen Länge, Breite und Höhe weise ein Objekt doch zweifellos eine weitere Eigenschaft auf: die Existenz in der Zeit.

Diese vierte Dimension will der Forscher nun für sich erobert haben – was er an einem Modell vorführt: er lässt eine kleine, futuristische Maschine kurzerhand verschwinden. Das reicht den skeptischen Kollegen natürlich nicht aus, aber damit hat der Zeitreisende gerechnet: er verschwindet kurz im Nebenzimmer und kehrt – vermeintlich nur Sekunden später – vollkommen derangiert, verdreckt und ausgehungert zurück. Den verdutzten Kollegen erklärt er, was ihm in der Zwischenzeit widerfahren ist: er hat die Zeitmaschine natürlich auch in voller Größe konstruiert und schwingt sich mit ihr auf in eine fantastische Reise in die Zukunft.

Endstation der rasenden Fahrt ist das Jahr 802701, in dem der Zeitreisende unsanft von seinem Gefährt stürzt und sich in einer verfallenen Zivilisation wiederfindet. London ist verschwunden, einige marode Bauwerke, darunter eine Sphinx und ein Tempel, stehen im Urwald, und selbst die Themse hat ihre Position leicht geändert. Aber der Zeitreisende ist nicht alleine: bald trifft er auf die Eloi – junge, fast kindliche Kreaturen, die ihre Zeit damit zubringen, Früchte zu essen, herumzutollen und zu schlafen. Angst scheint man nur vor der Dunkelheit zu haben, in der seltsame Kreaturen den Urwald durchstreifen. Selbst als eine der Eloi beim Baden zu ertrinken droht, entwickeln ihre Artgenossen keinerlei Aktivität, so dass der Zeitreisende Weena (so heißt die Dame wohl) retten muss, die ihm seitdem wie ein Schoßhündchen folgt. Nachdem er entsetzt feststellen muss, dass seine Zeitmaschine weggeschafft wurde, geht der Reisende den mysteriösen Dingen noch mehr auf den Grund. Überall in der Landschaft verteilt finden sich Schächte, aus denen Lärm tönt und Abluft strömt. Auf dem Weg in diese Unterwelt offenbart sich dann das ganze Grauen: in der Unterwelt hausen die Morlocks, die ihren Herren offenbar einst ein sorgenfreies Leben bereiteten und nun auf nächtlichen Raubzügen gnadenlose Jagd auf die Eloi machen. Knapp kommt der Zeitreisende davon, aber dann wird Weena von den Morlocks entführt…

Herbert George Wells gilt zu Recht als Vater der modernen Science-Fiction (wobei er sich diesen Titel wohl mit Jules Verne teilen muss) und lieferte Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Klassikern des Genres, von denen das Duo Dobbs und Mathieu Moreau gleich drei nicht in die vierte Dimension, sondern die Welt der Bildgeschichten überführen. Schon im Erstlingswerk „Die Zeitmaschine“, erschienen 1895, finden sich die Grundelemente, mit denen Wells in fast allen seinen Romanen spielte. Das Science-Fiction Gewand dient (anders als bei Verne, bei dem gerne Technikbegeisterung und Optimismus im Vordergrund stehen) dabei oft lediglich als Aufhänger, um das zeitgenössische England bloßzustellen und beißende Kritik zu üben.Ganz in der Tradition der englischen Satire vom Schlage eines Jonathan Swift, dessen Gulliver auf seinen vier Reisen verschiedene Aspekte der zeitgenössischen englischen Gesellschaft anprangert, liefert Wells im „Krieg der Welten“ z.B. einen vernichtenden Kommentar auf die ruppige Kolonialpolitik des Weltreiches Britannia zu seinen Lebzeiten.

In seiner – nebenbei natürlich auch spannend zu lesenden – Zukunftsvision von der Zeitmaschine begründete Wells zusätzlich den Prototyp der Antiutopie – dem finster-pessimistischen Blick auf das, was er später als things to come bezeichnete. Die Teilung der Gesellschaft in eine dekadente, nichtstuerische Oberschicht und eine verunmenschlichte, arbeitende Unterschicht beobachtete Wells im England der Industrialisierung als tägliche Realität, die er lediglich konsequent überspitzt zu Ende dachte: die Eloi, symbolisch an der Oberfläche lebend, sind in völlige Unfähigkeit zu verantwortlichem Tun degeneriert, während die in den Untergrund gedrängten Morlocks zu wilden Tieren verkommen sind, die seit Jahrhunderten in der Finsternis dahinvegetieren und dem Kannibalismus verfallen sind. In der klassischen Rollenverkehrung von Herr und Diener haben sich die Morlocks zu den Herrschern aufgeschwungen und halten sich die Eloi wie Vieh: der Kapitalismus frisst seine Kinder, so die Botschaft des Sozialisten Wells, wenn er nicht durch soziale Zügel gebändigt wird. Passend dabei, dass sich der Zeitreisende selbst mehrfach entsetzt darüber äußert, wie es soweit kommen konnte, und das Grauen „dieser Utopie“ konstatiert.

Der Nachhall des Romans zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der populären Kultur: Thea von Harbou riss sich die Grundidee unter den Nagel und fabrizierte daraus in unsäglicher Trivialisierung das Handlungsgerüst von Fritz Langs „Metropolis“, wo die Arbeiter ebenso unter der Erde hausen und den Reichen oben ein schönes Leben bescheren, was allerdings durch einen höchst dubiosen „Mittler“ kurzerhand gelöst wird (ein dreister Diebstahl, der den Filmkritiker Wells derart erboste, dass er 1927 schrieb, „Metropolis“ sei der dümmste Film aller Zeiten).

Die beiden Verfilmungen des Stoffs, allen voran die George Pal-Fassung von 1960, blenden den sozialkritischen Aspekt weitestgehend aus, liefern dafür aber wundervolles Design und schmissige Unterhaltung. Literaturprofi Dobbs schließlich, der schon in „Scotland Yard“ und „Mister Hyde vs. Frankenstein“ (beide bei Splitter) sein Gespür für Ikonen der phantastischen Literatur des 19. Jahrhunderts bewiesen hat, bleibt in seiner Handlungsführung recht nah am Roman, wobei einige kleinere Aspekte (im Roman erfährt der Zeitreisende aus einer Aufzeichnung in einer Bibliothek die Hintergründe, hier fällt ihm dieses Wissen relativ leicht zu) modifiziert werden. Der große Handlungsbogen, in dem der Zeitreisende aus dem Jahr 802701 noch weiter in die Zukunft flieht, dort das Ende der Welt sieht und wieder zurückkehrt, nur um erneut aufzubrechen, all das ist werkgetreu enthalten – und um eine kleine Szene klug ergänzt, in der wir den Zeitreisenden mit einem Fotoapparat in einem Urweltszenario beobachten, aus dem er nicht zurückkehrt.

Besonders zu gefallen vermag diese Adaption auch durch ihre zeichnerische Gestaltung, die von Mathieu Moreau liebevoll, in teilweise großflächigen Panels umgesetzt ist, in leicht stilisiertem, franko-belgischen Stil, mit kräftigen Farben und vielen Details – was einen spannenden Vergleich zu Thilo Krapps monochromer, ebenso detailfreudiger Fassung des „Krieg der Welten“ bildet. Wunderbar auch die produktionstechnische Einrichtung des Bandes: wie ein Buch aus der Bibliothek kommt das Album daher, mit Prägedruck und schönen Verzierungen auf dem Umschlag – als ob man sich gerade eben die Erstausgabe der „Time Machine“ aus der British Library geholt hätte. Stilecht!

Demnächst dürfen wir uns dann auf Versionen des „Krieg der Welten“ (2 Bände, ab August), des „Unsichtbaren“ (auch 2 Bände) und der „Insel des Dr Moreau“ freuen. Fehlt nur noch „Things to Come“, Wells Antwort auf den „deutschen Kuddelmuddel“ Metropolis.

H.G. Wells, Dobbs, Mathieu Moreau: H.G. Wells – Die Zeitmaschine. Splitter, Bielefeld 2017. 56 Seiten, € 15,80