Komisch und melancholisch – „Herbst in der Hose“

Er hat es wirklich getan. Ralf König hat Konrad und Paul in Rente geschickt. Schlimmer noch: ins Altersheim. Was sich an Alltag in dieser letzten Verwahrstation vor dem Unausweichlichen abspielt, ist zwar ein fantastisch utopischer Wurf, der den bedrückenden Realitäten selbstbewusst den Mittelfinger entgegenstreckt, aber der Weg dorthin, die Zeit davor, ist ziemlich bitter.

In seinen letzten Werken hat König das Elend mit den Religionen beschrieben. „Herbst in der Hose“ ist gewissermaßen der nächste Schritt, gegen den kein Aberglaube dieser Welt mehr hilft: das Elend mit dem Älterwerden, diese biologische Zumutung, aus der sich nur kreativ Kapital schlagen lässt. König beschreitet den ehrwürdigsten Weg und hat den besten Comic zum Thema gezeichnet und geschrieben. Daraus lernt man: Der Preis für das Lebenswerk, den er 2016 auf dem Comic-Salon Erlangen erhalten hat, kam viel zu früh, aber fraglos zu Recht.

Ralf König: „Herbst in der Hose“.
Rowohlt, Hamburg 2017. 176 Seiten. 22,95 Euro

Was Paul widerfährt, ist von großer Tragik (weswegen der Plot auch regelmäßig von einem griechischen Chor kommentiert wird). Die Andropause setzt ein, erst nur als Gerücht, dann sukzessive, erzählerisch in Jahresschritten, mit allen körperlichen Begleiterscheinungen. Alles lässt nach: die Körperform, die Libido, die Erektion und im Verbund mit alledem schleichend auch Pauls Selbstwertgefühl. Für seinen tiefen Fall kommt die jahrzehntelang erprobte Konzeption der Figur als promiskuitiver Hedonist erheblich zugute: Wenn er schweren Herzens seine Lederhose aussortiert, weil sie einfach nicht mehr passen will, und dabei sehnsüchtig die alten Zeiten beschwört, kratzt dies auch an unseren eigenen Lektüreerfahrungen, dass mit ihm die Dinge mal anders standen. Die Zeit fordert gnadenlos ihren Tribut: Popstars sterben, und mit ihnen die ikonischen Phantome eines eigenen Lebensentwurfs; aus Sexfreundschaften werden Bekanntschaften, weil Ehe und Monogamie mit dem Alter den Lebensversicherungen und Bausparverträgen angemessener sind; das kulturelle Kapital schwindet, weil sich die jüngere Generation in den Clubs nicht die Bohne mehr dafür interessiert, wofür John Waters eigentlich mal stand, und selbst der Drogenkonsum wird zum Anachronismus, als sich Paul mit einem Sex-Buddy und dessen jungem Kumpel zum Dreier trifft: „Kiffen? Im Ernst jetzt?“ „Ach ja, du kiffst ja nicht.“ „Danke, ist mir dann doch zu Achtziger.“ Synthetische Drogen sind eben leistungsfördernder. Da wird, wie oft bei König, das Private ziemlich politisch, denn ob nun das Ich, die Arbeitskraft oder eben der Sex gepimpt wird, letztlich senkt sich über jedwede Handlung die Pranke der Selbstoptimierung.

Konrad indes steckt den Alterungsprozess deutlich gelassener weg und reagiert auf Pauls Panik mit noch mehr Liebe. Und so wächst die Erzählung mit jeder Seite gleichfalls zu einer Huldigung der größten Regung, die die Menschheit hervorgebracht hat. Brüllend komisch und schwer melancholisch zugleich, man lacht seinem eigenen Untergang entgegen. Eine, sorry, königliche Erfahrung.

Hier findet sich eine weitere Kritik zu „Herbst in der Hose“.

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.