Arlestons neue Fantasy-Welt – „Sangre“

Gleich zum Auftakt des Bandes kommt es zur prägenden Tragödie für das Mädchen Sangre, das zu einer Familie von Winzern gehört, die in einer Karawane unterwegs ist, um in der Stadt Owrak ihren Wein zu verkaufen. Eine Bande von Piraten, die auf gigantischen Greifvögeln unterwegs ist, attackiert die Gruppe und metzelt Sangres komplette Familie nieder. Nur durch einen Zufall kann das Mädchen entkommen. Sangre wird als Waisenkind aufgelesen, stottert nun – bedingt durch die traumatischen Erlebnisse – und landet schließlich im Magisterium von Elm, dem Orden der mysteriösen Jungfern, einer Art Elite-Internat für die Oberschicht. Dort wird sie aufs Übelste von ihren arroganten Mitschülerinnen gemobbt. Und dort entwickelt sie eine erstaunliche Fähigkeit: sie kann für wenige Sekunden die Zeit anhalten. Eine Fähigkeit, die sie in den folgenden Jahren benutzt und ausbaut. Denn nachdem sie das Magisterium verlassen muss, landet sie auf der Straße und lernt so die harte Schule des Lebens kennen. Sie stiehlt und schlägt sich durch – im wahrsten Sinne des Wortes – noch immer beseelt von ihrem Rachedurst. Dann, nach Jahren – inzwischen ist sie eine junge Frau – kann Sangre den ersten Mörder ihrer Familie identifizieren…

In seiner scheinbar unerschöpflichen Fantasie schüttelt Christophe Arleston, der u.a. das Troy-Universum ersann, neue Serien aus dem Ärmel, die oft (es gibt Ausnahmen – siehe „Morea“) in einer charakteristischen Mischung aus Elementen und Motiven verschiedener Genres, wie Fantasy, Mittelalter, Science-Fiction und Superhelden daherkommen. Gern werden dabei bereist bewähret Ideen recyclelt oder variiert, was aber alleine noch nicht ausreicht, um den Leser zu packen. Aber Arleston versteht es, seine Geschichten so geschickt zu erzählen, bzw. zu beginnen, dass sich der Leser spätestens nach fünf Seiten rettungslos darin verwickelt und so weit in die jeweilige Welt oder Story eintaucht, dass er bis zum Ende dabei bleibt. Oft sind die Serien auch gleich bis zum Finale durch konzipiert, so auch hier. Es gibt acht Mörder, an denen sich Sangre rächen will und somit auch acht Bände, die alle bereits – das Back-Cover verrät es – betitelt sind. Ob danach Schluss ist wird sich zeigen (und auch vom Erfolg der Reihe abhängen). Denn Arleston hat auch kein Problem, seine erfolgreichen Serien nach Belieben zu verlängern. Wieder auf nur wenigen Seiten schafft er dann eine neue Prämisse, stellt einen neuen Aspekt in den Vordergrund, und dann geht es anschließend über etliche Alben weiter – so geschehen bei „Die Schiffbrüchigen von Ythaq“.

Genügend Ansätze mit Potenzial, das es noch zu klären gilt, gibt es auch hier. Vieles in der Welt kann und wird noch ergründet werden und eine Rolle spielen: das seltsame Mal auf Sangres Rücken, das die Persönlichkeit seines Trägers offenbar in Richtung Gut oder Böse beeinflussen kann. Die unheimliche Fähigkeit Sangres, die Zeit anhalten zu können (um danach kurzfristig zu erblinden). Das Mysterium um ihre Mutter, die – von den Piraten entführt – tatsächlich noch am Leben sein könnte. Und mit den Ligaten, einer Art Priester-Kaste, die per Magie sogenannte Transfer-Knoten öffnen können – Portale, um an andere Orte oder gar andere Planeten zu reisen – schafft sich Arleston die komfortable Freiheit, die Handlung jederzeit überall hin verlegen zu können. Was er in diesem ersten Band auch gleich tut und so für noch mehr Abwechslung sorgt. Erstaunlich ist der Grad an Brutalität, mit der die Story ausgestattet ist: Zu Beginn beim Gemetzel an ihrer Familie und dann gegen Ende des Bandes, als Sangre erstmals Rache üben kann, geht sie auch alles andere als zimperlich vor und zeigt keinerlei Mitleid oder gar Gnade, wenn sie Folter als probates Mittel wählt, um mehr über die Mörder zu erfahren. Rache steht vor allem.

Nach „Die Schiffbrüchigen von Ythaq“ realisiert Arleston auch diese neue Reihe mit dem Zeichner Adrien Floch, der hier wieder mit einem ganz eigenen semi-realistischen Stil glänzt, der so charakteristisch für fast alle Arleston-Fantasy-Reihen ist (siehe einmal mehr die Troy-Serien). Dabei sind die Panels klar gehalten und nicht durchgehend ausdetailliert, sondern nur, wo es sein muss. Dann aber gibt Floch Gas und schafft beeindruckende Fantasy-Panoramen, was Tierwelt, Landschaften und Stadtansichten betrifft. Auch farblich erinnern die Seiten an die Ythaq-Serie (kein Wunder, auch hier stammen die Farben von Claude Guth). An den Designs dieser neuen Welt arbeitete übrigens Fred Blanchard mit, der u.a. auch durch die bei Panini erscheinende Serie „Tag X“ bekannt ist und auch schon mal Star Wars Comics zeichnete. Auch wenn einige Elemente und Zutaten bestenfalls variiert werden (siehe auch Leo in seinen Aldebaran-Serien): wer die Werke Arlestons mag, wird sich in „Sangre“ sofort bestens aufgehoben fühlen.

Christophe Arleston, Adrien Floch: Sangre, Band 1: Sangre, die Überlebende. Splitter Verlag, Bielefeld 2017. 56 Seiten, 14,80 Euro