„Axel F., der Hexer von Bonn“ – Oder: Wie eine Comic-Serie die Bastei-Chefetage zum Erbeben brachte Teil 2

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier findet sich der 1. Teil zu „Axel F.“

2. Das Ende

Mitte Juli 1989 rief mich Werner Geismar an und machte mit mir einen Termin im Verlag aus. Zumeist ging es bei solchen Meetings um eine neue Serie, die ich schreiben sollte. Also fuhr ich relativ entspannt nach Bergisch Gladbach, ohne die geringste Ahnung, was mich dort erwarten könnte. Erst im Büro des Chefredakteurs erfuhr ich, dass uns der Verleger Gustav Lübbe höchstpersönlich sprechen wollte. Für nähere Erklärungen blieb keine Zeit, da wir etwas spät dran waren. Der für „Axel F.“ zuständige Redakteur Ewald Fehlau begleitete Werner Geismar und mich zum hinteren Trakt im Erdgeschoss des Verlagshauses, wo sich die feudalen Arbeitsräume des Verlegers befanden.

Der Patriarch des von ihm 1953 in einer Garage gegründeten Verlagsimperiums empfing mich überaus höflich. Offenbar hatte er sich über meine Arbeit als Autor für seinen Verlag kundig gemacht und fand einige lobende Worte dafür. Anschließend bot er uns Erfrischungen und Plätze auf einer pompösen Ledergarnitur an. Auf dem Tisch davor lagen mehrere „Axel F.“-Hefte ausgebreitet. Gustav Lübbe setzte sich nicht. Er stand auf der anderen Tischseite, ergriff nach etwas Smalltalk das erste „Axel F.“-Heft, schlug es auf und ging es Seite für Seite durch.

No-Go: „Unverständliche Jugendsprache“

Wobei recht schnell deutlich wurde, dass ihm daran alles missfiel, was den Comic außergewöhnlich machte: Die relativ komplexe Story, die Art der Darstellung diverser Szenen mit Gewalt und vor allem gewisse Freizügigkeiten in Form von ebenso kurvenreichen wie spärlich bis gar nicht bekleideten Damen, die es in solcher Textilarmut bislang noch in keinem Bastei Comic gegeben hatte. Ein weiterer Kritikpunkt, dem er viel Zeit widmete, war die Sprache. Das waren nicht die üblichen 1-Satz-pro-Sprechblase-Sprüche von Bastei. Jede Figur bei „Axel F.“ besaß eine individuelle Ausdrucksweise. Vor allem die in eine spezielle Jugendsprache verfremdete Diktion einer Nichte der Hausmeisterin kam bei dem Verleger nicht gut an. Für ihn war das ein unverständliches Kauderwelsch, das doch kein Leser verstehen könne.
Akribisch blätterte er jedes einzelne Heft durch und wurde nicht müde die Texte des Mädchens laut vorzulesen:
„Echt beknackte Chose. Entweder läuft hier bald ’ne wahnsinnsdicke Story, oder die Kiste ist für mich gelaufen.“
„He Alter, schaukel mal ’ne Kippe rüber.“
„Da staunste, was? Unsere Dekoration gibt dem Bunker ’nen echt heavy Touch! Ist was anderes als Tantchens „Gelsenkirchener Barock“.
„Ihr seid genauso Schlaffis wie all die anderen, die den ganzen Umweltschrott verbrocken, denen völlig schnuppe ist, wohin wir flippen.“ usw.
Nach jeder Sprechblase guckte er mich verständnislos an. Was sollte das heißen? Er verstand jedenfalls kein Wort.

Der Einwand des Chefredakteurs, dass sich das Heft, so wie es war, gut verkaufe und die Kids heutzutage eben so redeten und deshalb die Texte auch verstehen würden, brachte den bislang um Selbstbeherrschung bemühten Verleger von Null mit Hundertachtzig auf die Palme.
Was er sehr laut, sehr dezidiert und in einer nicht ganz druckreifen Wortwahl kundtat. Jedenfalls sollten alle Personen in dem Comic „normal“ reden, so wie die Leute in den „Gespenster Geschichten“ auch und damit basta.

No Go: Textilbefreite Darstellerinnen

Nach diesem emotionalen Ausbruch beruhigte sich Gustav Lübbe aber schnell wieder. Nachdem er sich während unseres Meetings etwas eingehender mit „Axel F.“ auseinandergesetzt hatte, fand er den Comic – abgesehen von seinen geäußerten Kritikpunkten – im Grunde doch gar nicht so übel. Weshalb wir ihn punktuell lediglich „ein wenig ummodeln“ sollten. Damit aus „Axel F.“ so etwas wie „Gespenster Geschichten“ würde.

Er schloss das Treffen mit einigen versöhnlichen Worten, die er an mich richtete. Gustav Lübbe schüttelte mir die Hand, legte seine andere Hand auf meine Schulter und meinte beinahe väterlich, ich sei doch in der Lage wunderbare Geschichten zu schreiben, wie man an all den Comics aus der Jugendredaktion sehen könne. Deswegen würde es mir sicherlich kein Problem bereiten die kleinen „Ausrutscher“ in „Axel F.“ wieder auszubügeln.

Damit endete eine denkwürdige, weil in den Verlags-Annalen wohl einmalige Unterredung. Dass der Verleger derart drastisch in die Konzeption einer Serie aus seinem Haus eingriff, hatte es bis dato bei Bastei noch nie gegeben. Ewald Fehlau hatte das Gespräch mit Gustav Lübbe sichtlich mitgenommen. Ohne ein Wort zu sagen verschwand er in sein Arbeitszimmer. Ich begleitete Werner Geismar in dessen Büro. Da saßen wir uns einige Minuten lang schweigend am Schreibtisch gegenüber und ließen das Ganze erst mal sacken. Dann sah er mich an und fragte: „Und? Was machen wir jetzt mit dem Heft?“

Wäre „Axel F.“ eine normale Auftragsarbeit gewesen, so wie all die anderen Bastei-Comics, hätte ich die vom Verleger gewünschten Änderungen auf der Stelle und ohne Murren umgesetzt. Doch die Serie war unser beider „Kind“. Der einzige Grund weshalb wir „Axel F.“ überhaupt gemacht hatten war, das eingefahrene „Gespenster Geschichten“-Schema zu durchbrechen. Und jetzt sollten wir alle innovativen Komponenten, die den Comic aus der Masse der gängigen Bastei-Comics heraushoben, über Bord werfen? „Axel F.“ inhaltlich in eine Form zwängen, die daraus einen „Gespenster Geschichten“-Abklatsch machte? Sorry, bei allem Respekt, aber dazu hatte ich echt keine Böcke, deshalb antwortete ich: „Einstellen.“ Werner Geismar nickte und sagte: „Dasselbe war auch meine Überlegung.“ Er griff zum Telefon, rief Ewald Fehlau an und setzte ihn von der Entscheidung in Kenntnis. Obwohl Heft #17 schon druckfertig vorlag, wurde die Serie noch am selben Tag gestoppt. Heft #15 war bereits in der Auslieferung und Heft #16 im Druck, so dass die beiden Ausgaben noch im August und September 1989 in den Handel kamen.

Rückblickend gesehen steht „Axel F.“ für einen Umbruch der Bastei Jugendredaktion, der auf Dauer unumgänglich war. Wenn man sich „Axel F.“ heute ansieht, fällt es schwer, nachzuvollziehen, was Gustav Lübbe an dem Comic so aufgebracht haben könnte. Das Provokante, das Außergewöhnliche bei „Axel F.“ hat die Zeit nicht überdauert. So wie vieles andere aus der Popkultur der 1980er. Filme, Mode, Fernsehserien, Musik oder Comics, etliches was seinerzeit cool und avantgardistisch erschien, wirkt aus heutiger Sicht eher lahm, aufgesetzt oder unfreiwillig komisch. Damals, als „Axel F.“ auf den Markt kam, war der Comic Galaxien von dem entfernt, was die Bastei Jugendredaktion bis zu jenem Zeitpunkt herausgebracht hatte. Genau dieses Anderssein wurde der ambitionierten Serie letztendlich zum Verhängnis.

Das Schluss-Panel der Serie im letzten veröffentlichen Heft mit Symbolkraft: „Axel F.“ wird zu Grabe getragen.

Kleine Rarität: Eingangs-Panel aus der unveröffentlichten „Axel F.“ Ausgabe #17.

Ein weiteres Panel aus der unveröffentlichten „Axel F.“ Ausgabe #17.