Es sterbe die Revolution – „Innocent“

Gegen seinen Willen und gegen seine Überzeugung wurde Charles Henri Sanson, der zynischerweise eigentlich Arzt werden wollte, zum Scharfrichter der französischen Revolution. Der Weg zu diesem morbiden Beruf war gesäumt mit dem Hass und der Verachtung aller Menschen außerhalb der Familie Sanson, die dem Henkers-Clan stets mit einer Mischung aus abergläubischer Angst und fanatischer Abscheu begegneten. „Innocent“ beschreibt das leidvolle und tragische Leben eines Mannes, der buchstäblich die herrschende Monarchie im Namen des Volkes hinrichtete.

Häufig zeichnen sich Manga visuell durch eine charakteristische Reduktion von Figuren und Umgebung aus. Davon will Shin’ichi Sakamoto offenbar gar nichts wissen und zeichnet bei seinem bedrückenden Historiendrama scheinbar um sein Leben. Extrem detaillierte Charaktere und Hintergründe erinnern – von stilprägenden Mandelaugen einmal abgesehen – häufig eher an westliche, naturalistisch inszenierte Indie-Comics wie den Werken von Terry Moore oder die opulenten Umgebungen in Sana Takedas „Monstress“. Aber abgesehen von seiner wirklich atemberaubenden grafischen Präsentation ist „Innocent“ auch fesselnd erzählt und versprüht trotz Charles‘ allgegenwärtiger, bedrückender Schwermut eine toxisch-zynische Spannung, nicht unähnlich den Intrigenspielen in der gefeierten HBO-Serie „Game Of Thrones“.

Die tragischen Ereignisse um das Schicksal des angehenden Henkers leben dabei häufig von der heute nicht mehr vorstellbaren Brutalität und Dekadenz, mit denen der französische Hochadel seinerzeit sein Volk zu behandeln pflegte. Wer „Innocent“ liest, wird Zeuge von Folter, sexueller Gewalt und manchmal schwer zu ertragender Erniedrigung, die aber immer mit großer Klasse geschildert werden, ohne den vordergründigen Schock zu fokussieren.

Bislang sind zwei der insgesamt neun Bände in deutscher Übersetzung bei Tokyopop erschienen. In Japan läuft außerdem eine Nachfolgeserie mit dem Titel „Innocent Rouge“, die sich auf Charles‘ Schwester Marie-Joseph Sanson konzentriert.

„Innocent“ ist ein absolut einzigartiges Comic-Kunstwerk, das sich auch hartgesottene Manga-Muffel auf gar keinen Fall entgehen lassen dürfen.

Shin’ichi Sakamoto: Innocent. Tokyopop, Hamburg 2017. 216 Seiten,  9,95 Euro je Band.