„Brodecks Bericht“ – Der neue Larcenet

2007 veröffentlichte Philippe Claudel seinen Roman „Brodecks Bericht“, der 2009 erstmals auf Deutsch erschien. Das Buch dreht sich um ein abgelegenes Dorf im deutsch-französischen Grenzgebiet, dessen Bewohner kurz nach dem Krieg noch ziemlich traumatisiert und zum Teil geradezu entmenschlicht sind. Deshalb bringen die misstrauischen Männer des Dorfes einen harmlosen Reisenden im Gasthaus um, was der im Wald lebende Naturkundler Brodeck in einem seiner regelmäßigen Berichte für die Behörden beschreiben und rechtfertigen soll. Da er sich an die Wahrheit halten will, fürchtet der aus der grausigen Hölle eines Konzentrationslagers heimgekehrte Familienvater die Konsequenzen, die den subtilen und weniger subtilen Drohungen folgen mögen …

Der französische Künstler Manu Larcenet („Der alltägliche Kampf“), der seit Jahren überzeugt und Werk für Werk regelrecht überragt, hat die eindringliche historische Geschichte über Schuld und Grausamkeit jetzt als Comic adaptiert. Der Schuber des Hardcovers suggeriert ein Hochformat, allerdings wird der Band selbst im Querformat aufgeschlagen und gelesen. Auf den breiten Seiten bietet sich Larcenet viel Raum für perfekt gewählte, kontrastreiche schwarzweiße Panel-Folgen voller Atmosphäre, Intensität und Schwere, die sich aus ausdrucksstarken Momentaufnahmen und gewichtigen Stillleben zusammensetzen. Gemeinsam mit den Worten sowie den Bildern der Natur, des Winters und der Tierwelt erzeugen sie eine urgewaltige Stimmung.

Nach seinem psychologisch und zeichnerisch beeindruckenden Mehrteiler „Blast“, der auf Deutsch ebenfalls bei Reprodukt vorliegt, wundert Larcenets Themenauswahl nicht sonderlich. Seine düstere Interpretation von Claudels Roman und Brodecks Bericht ist grandios inszeniert und bewegt sich in puncto Storytelling auf höchstem Niveau. Dadurch, dass er seine Adaption noch etwas altertümlicher gestaltet hat (Brodeck nutzt z. B. Heft und Stift statt einer Schreibmaschine wie im Roman), wirkt die Panel-Fassung sogar archaischer. So liefert auch diese kraftvolle Comic-Version von „Brodecks Bericht“ einen zutiefst beklemmenden Blick in die Dunkelheit und die Abgründe im Menschen und in der europäischen Kriegsvergangenheit – und niemand hätte das alles besser in Panel-Form umsetzen können als Manu Larcenet.

Manu Larcenet: Brodecks Bericht. Reprodukt, Berlin. 328 Seiten, Hardcover in Schuber: 39,00 Euro