„Thorgal Bd. 35“ – Blutrote Vatersorgen

Bagdad. Endlich hat Thorgal seinen Sohn Aniel gefunden. Und ist nun Gefangener der roten Magier. Und Aniel? Er wurde einer gründlichen Gehirnwäsche unterzogen, sehen ihn die roten Magier doch als Prophet, als Heilsbringer, der als einziger das geheimnisvolle scharlachrote Feuer entfachen und kontrollieren kann. Thorgal freilich ist damit ganz und gar nicht einverstanden, zumal er Augenzeuge der grausamen Praktiken des roten Kultes wird. Und hierbei soll sein Sohn mitmischen? Niemals! Thorgal kann sich befreien, ihm gelingt die Flucht, gemeinsam mit Aniel, der dabei verletzt wird und seinem Vater Lieblosigkeit und Vernachlässigung vorwirft. Ein Weg hinaus aus Bagdad scheint auch gefunden. Aber jetzt verkompliziert sich die Lage, denn draußen vor den Toren der Stadt stehen sechs Legionen Kreuzritter, die vom Kalifen gerufen wurden, um die roten Magier und deren zahlreiche Anhänger zu vernichten. Und ausgerechnet Aniel, so scheint es, kann das drohende Massaker noch verhindern…

Thorgal in der Zwickmühle. Kaum hat er seinen Sohn, der von Magon, dem vermeintlichen Chef des roten Kultes, völlig verblendet wurde, entführt, muss er ihn schon wieder loslassen. Aniel will auch gar nicht weg, verbergen sich in ihm doch Kräfte, mit denen er Feuer kontrollieren kann. Und schon in Kindesjahren ein Prophet zu sein, hat ja auch was für sich. Und Thorgal scheint gezwungen, in einem drohenden Krieg, aus dem er sich geflissentlich heraushalten wollte, Partei zu ergreifen, wobei er auch Zweckbündnisse eingehen muss. Dazu kommen die Vorwürfe seines Sohnes, der sich vom Vater ungeliebt und vernachlässigt glaubt. Und im Hintergrund kochen die roten Magier ihr eigenes fanatisches Süppchen. Thorgal wird immer mehr zum passiven Akteur, zum Spielball der Interessen der roten Magier. Er wird von ihnen unwissentlich beeinflusst und genau dort positioniert, wo sie ihn haben wollen. Und am Ende, als das scharlachrote Feuer endlich lodert, steht der ultimative Vater-Sohn-Konflikt.

Religion ist Opium für das Volk, sagte Karl Marx einst. Und für Kinder erst recht. Außerdem wissen wir schon aus „Game of Thrones“, dass religiöse Kulte, in denen die Farbe Rot sowie Feuer im Mittelpunkt stehen, nichts Gutes an sich haben. Rot ist dann auch die Farbe, die den Band optisch dominiert. Grzegorz Rosinski, der gemeinsam mit Jean van Hamme die Reihe „Thorgal“ 1980 begründete, hat mit den Jahren seinen Zeichenstil komplett verändert und „malt“ nun in direkter Farbgebung. Das Ergebnis sind beinahe plastisch wirkende Panels, die erst aus der Ferne ihre Pracht entfalten. Schaut man genau hin, sind die Panels nicht unbedingt detailliert, wirken durch die kräftigen Farben aber stets opulent. Und um Konturen zu betonen, benutzt Rosinski nicht nur schwarz, sondern zeichnet mit einem feinen weißen Strich, der beispielsweise Haarpartien oder die Umrisse von Personen im Dunklen heraus fischt. Sehr interessant. Optische Highlights sind dann die „Wimmelbilder“ urgewaltige Totalen, in denen beispielsweise die Schlacht um Bagdad tobt.

Ungwöhnlich: mit diesem Band und damit inmitten eines fortlaufenden Zyklus‘ fand ein Autorenwechsel statt. Nachdem Jean van Hamme mit Band 29 die Serie verließ, griff sich Yves Sente das Thorgal-Ruder. Sente ist auf Serien-Übernahmen spezialisiert und führt bereits „Die Abenteuer von Blake und Mortimer“ sowie „XIII“ fort, wo er ebenfalls den Autorenstab von Jean van Hamme übernahm. Und mit Rosinski arbeitete er auch bereits an dem Zweiteiler „Skarbek“ zusammen (dt. bei Schreiber & Leser). Außerdem schreibt er den Thorgal-Ableger „Kriss de Valnor“ um die Mutter von Aniel. Umso überraschender, dass nun Xavier Dorison die Geschicke von Thorgal lenken wird. Dorison, ebenfalls ein altgedienter Autor, kennen wir hierzulande von etlichen Serien, von denen viele ebenfalls im Spitter Verlag erscheinen: Heiligtum, Prophet, Red Skin, Undertaker, Ulysses 1781. Auch hier bei Thorgal gelingt sein Serieneinstieg. Er schafft eine dichte Story voller Wendungen und Überraschungen, ohne dass irgendwelche Brüche erkennbar sind. Fortsetzung folgt. Wie immer bei diesem Dauerbrenner.

Xavier Dorison, Grzegorz Rosinski: Thorgal 35: Scharlachrot. Splitter Verlag, Bielefeld 2017. 56 Seiten, Hardcover, 14,80 Euro