Vigilant wider Willen – Ed Brubakers „Kill or be Killed“

Nicht gut läuft es für den 28-jährigen Dylan. Gar nicht gut. Ohnehin hatte er schon früher psychische Probleme, weshalb er in seinem Alter noch immer an einem College-Abschluss bastelt. Dazu kommt, dass sein Mitbewohner und bester Freund Mason und seine beste Freundin Kira ein Paar sind. Dabei hatte Dylan doch selbst ein Auge auf Kira geworfen. Nun fühlt er sich wie das fünfte Rad am Wagen, und als er obendrein noch erfährt, dass Kira Mitleid mit dem armen Dylan hat, beziehungstechnisch mit ihm aber Spiele spielt, ist das Maß voll. Dylan will Schluss machen, radikal. Sich umbringen. In einer verschneiten Winternacht stürzt er sich vom Dach, merkt aber noch während des Falls reumütig, dass er gerade einen riesen Fehler begeht und eigentlich am Leben hängt. Da bremsen Wäscheleinen und ein alter Teppich seinen Fall, der sechs Stockwerke tiefer in einer Schneewehe schon beinahe unverschämt sanft endet.

Mühsam aber erleichtert schleppt sich Dylan nach Hause. Dort wartet – Überraschung! – ein Dämon auf ihn, der seine Pacht einfordert. Pacht für Dylans neues Leben, das er ihm geschenkt hat. Dazu soll der jeden Monat einen Mord begehen. Freilich nur an schlechten Menschen, an solchen, die es verdient haben. Der verwirrte Dylan ist sich nicht sicher, ob seine surreale Begegnung nur Einbildung war, aber als er die Forderungen des Dämons ignoriert, wird er krank und kränker. Was sich erst ändert, als er sich ernsthaft mit dem dämonischen Pakt beschäftigt. Relativ leicht findet er eine Waffe und bald sogar ein erstes Opfer findet, nachdem er sich an einen Freund aus seiner Kindheit erinnert, der damals offenbar missbraucht wurde…

Der Band beginnt mit einem blutigen Schrotflinten-Massaker, das Dylan in Aktion zeigt. Offenbar durchaus routiniert, auf jeden Fall aber kaltblütig. Es stellt sich heraus, dass er den Pakt mit dem Dämon akzeptiert hat. In einer langen Rückblende berichtet Dylan dem Leser nun, wie es dazu kam. Das tut er als Ich-Erzähler und Kommentator des Geschehens, das immer wieder ganz stylish zwischen Bild und Text trennt, indem dieser an der Seite angeordnet ist. Dann bringt Dylans Bereitschaft einige Eigenschaften mit sich, die ihm bei seinen Taten und Planungen nützlich sind: Er kann die Menschen bzw. deren Verfehlungen „lesen“ und wandelt sich aus dem Stand zum Meisterschützen. Seine Taten führt er mit Kapuze und hinter einer roten Gesichtsmaske aus. Kein Wunder, dass sich da Vergleiche und Parallelen zum Superhelden-Genre aufdrängen.

Doch will die neue Serie des Teams Ed Brubaker/Sean Phillips, die mit „Criminal“ und „Fatale“ wunderbare Noir-Werke schufen, kein Superhelden-Comic sein, obwohl sie mit den Merkmalen und Mechanismen des Genres arbeitet und damit kokettiert, bisweilen sogar parodiert oder diese ad adsurdum führt. Trotz maskiertem Rächer, der in bester Punisher-Manier Bösewichte beseitigt. Nur nicht aus Rache, wie die Marvel-Netflix-Figur, sondern um schlicht und einfach weiterleben zu dürfen. Anfangs geht er dabei noch dilettantisch vor, was ihn in die Nähe zu Mark Millars „Kick-Ass“ rückt. Und sein Privatleben ist eine Katastrophe: Er liebt die Freundin seines besten Freundes und wird von ihr, die hinsichtlich Sex und Liebe eine doch ungewöhnliche Jugend erfuhr (ihre Eltern waren Swinger), ermutigt. Auch sein heimliches, nächtliches Davonschleichen, wird sofort bemerkt und gerät zur Katastrophe, aus der er sich nur durch eine emotionale Lüge herauswinden kann. Geheimidentität gescheitert.

Auslösendes Motiv, das das Geschehen in Gang bringt und am Laufen hält, ist natürlich der Faust-Pakt mit dem Teufel bzw. Dämon, den Dylan durch seinen Selbstmordversuch unfreiwillig schließt und für den er Selbstjustiz ausüben muss, um am Leben zu bleiben. Und zwar jeden Monat mindestens ein Mal. Die Darstellung des Dämons als diffuse körperliche schwarze Masse mit Hörnern und fratzenhaften, weißen Gesichtszügen erinnert dabei an Ben Templesmiths Vampire aus „30 Days of Night“. Wie auch in den bisherigen Werken hat die düstere Optik einen großen Anteil an der atmosphärischen Dichte der Handlung. Es ist oft finster, das Wetter ist mies, wodurch Sean Phillips‘ Bilder, die wie immer mit großflächigen Schwarztupfern ausgestattet sind, bestens zur Geltung kommen. Koloristin Elizabeth Breitweiser, die neben den letzten Brubaker/Phillips-Serien auch Robert Kirkmans „Outcast“ färbt, trägt mit ihrer stimmigen und dezenten Farbgebung ebenfalls viel dazu bei. Wie es mit Dylan und seinem „Job“ weitergeht, werden wir hoffentlich bald erfahren – in den USA ist bei Image der zweite Sammelband bereits erschienen und der dritte für den Januar 2018 angekündigt. Material ist also da.

Ed Brubaker (Text), Sean Phillips (Zeichnungen), Elizabeth Breitweiser (Farben): Kill or be Killed, Band 1. Aus dem amerikanischen Englisch von Gerlinde Althoff. Splitter, Bielefeld 2017. 128 Seiten. Hardcover. 19,80 Euro