Auf den Spuren eines Mythos

Grenzgebiet im Norden Mexikos, 1850. Die Bedonkohe-Apachen um ihren Häuptling Mangas Coloradas lagern in der Nähe der Ansiedlung Kas-Ki-Yeh. Im Schutze des äußerst brüchigen Friedens mit den Mexikanern ziehen die Männer in die Stadt, um einige Tauschgeschäfte zu machen, aber den Medizinmann Goyathlay plagen böse Vorahnungen. Der Trupp eilt zurück, aber es ist bereits zu spät: Nahezu alle Frauen, Kinder und Alte, darunter auch Goyathlays Ehefrau Alopi, sind von mexikanischen Angreifern getötet worden. Die Krieger schwören blutige Rache und marschieren zum Stamm der Chokonen, um sich bei deren Häuptling Cochise Unterstützung für den Kriegspfad zu sichern, während sich Goyathlay ganz und gar der Vergeltung verschreibt. Auf dem Weg zu den Nednhi, dem dritten Stamme der Chiricahua, den man ebenfalls für die Sache gewinnen will, treffen die Indianer erstmals auf Weißaugen, denen man zunächst über den Weg traut, auch wenn die Navajo schon von finsteren Absichten auch dieser Fremdlinge berichtet haben.

Nachdem der Winter vorüber ist, marschieren die Krieger gemeinsam Richtung Kas-Ki-Yeh und treffen alsbald auf einen Trupp Mexikaner, dem sie den Garaus machen. Als die Mexikaner tags darauf einen Vergeltungsschlag führen, laufen sie in die Falle der Apachen. Vor allem Goyathlay gebärdet sich wie ein Rasender: Als die wenigen überlebenden Angreifer fliehen, rufen sie entsetzt über diesen Wüterich „San Jeronimo! San Jeronimo!“, was umgedeutet zum neuen Namen des Medizinmanns wird. Unter dem neuen Kriegsnamen Geronimo führt er die Apachen zu einem rücksichtslosen Feldzug gegen die Mexikaner. Als sein Gefährte Cochise in Gefangenschaft der Weißaugen gerät, eskaliert der Konflikt der Apachen, die fortan auch gegen die weißen Siedler und Soldaten Krieg führen, um ihr Land zu befreien. Mangas Coloradas überzeugt Geronimo davon, dass nicht nur die Mexikaner, sondern alle Invasoren ihre Feinde sind. Als man 1863 schließlich einen weiteren Versuch zu Friedensverhandlungen unternimmt, fällt der Häuptling selbst den Weißaugen in die Hände und wird von ihnen getötet, was Geronimo endgültig in einen rücksichtslosen Krieg ziehen lässt, dem Soldaten, Siedler, Frauen und Kinder gleichermaßen zum Opfer fallen.

Aber die Verluste auch auf Seiten der Indianer sind hoch, so dass Geronimo 1871 widerwillig mit General Howard über einen Waffenstillstand verhandelt. Die Apachen ziehen ins Reservat nahe Fort Bowie, wo man sie mit Nahrung versorgt. Im Gegenzug müssen die Apachen die Waffen niederlegen und zusichern, das Reservat nicht zu verlassen. Diese prekäre Situation ist zum Scheitern verurteilt: gewissenlose Geschäftemacher verkaufen das Fleisch, das eigentlich für die Indianer bestimmt ist, gewinnbringend an weiße Siedler. Als die Indianer beginnen Not zu leiden, gehen Geronimo und seine Vertrauten heimlich auf die Jagd, wofür sie postwendend im Gefängnis landen. So kommt es endgültig zum Bruch: Geronimo flieht mit 38 seiner Krieger und führt aus den uneinnehmbaren Bergen im Norden Mexikos vernichtende Schläge gegen die Besatzer. Unter Führung von General Miles antworten die Weißen mit grausamer Härte, wobei in ihren Reihen auch Überläufer sind, die als Scouts ihren ehemaligen Kriegsgefährten Geronimo ans Messer zu liefern bereit sind…

Neben Sitting Bull dürfte der Apache, dessen eigentlicher Name Goyathlay so viel wie „der, der immer gähnt“ bedeutet, wohl zu den bekanntesten Charakteren des sogenannten Wilden Westens zählen. Mindestens ebenso legendär wie sein unbändiger Hass auf die Mexikaner, sein grausamer Guerilla-Kampf gegen die Invasoren seines Landes und das jahrelange Katz und Maus-Spiel zwischen 5000 Soldaten und den in den Bergen verschanzten 38 Indianern sind seine nahezu hellseherischen Fähigkeiten, die sich in Form von Visionen äußerten und nicht selten sein Handeln bestimmten (ein Motiv, das auch Peter Nuyten in seinen Dreiteiler „Apache Junction“ einbaute). Matz und Jef greifen sich für ihre Biografie dieser schillernden Figur schlaglichthaft entscheidende Wendepunkte heraus – von der Ermordung seiner Familie bei Kas-Ki-Yeh über die ersten Angriffe und den Ausbruch aus dem Reservat bei Fort Bowie bis hin zur Kapitulation 1886, als Geronimo sich General Miles mit den Worten „Einst war ich frei wie der Wind, jetzt ergebe ich mich… und das ist alles“ ergab.

Bei aller historischen Genauigkeit – viele Dialoge und Aussagen stammen direkt aus den überlieferten Reden und der Lebensgeschichte Geronimos, die dieser vor seinem Tod niederschreiben ließ – erlauben sich die beiden auch einige Freiheiten (so etwa floh der echte Geronimo in derselben Nacht wieder, nur um später dingfest gemacht zu werden), die allerdings in einer fiktiven Darstellung jederzeit in Ordnung gehen. Neben der psychologischen Durchdringung der Motivation beeindruckt dabei vor allem die Ratlosigkeit, mit der die Indianer den Invasoren gegenüberstehen: Die Weißaugen töten Wild, ohne es zu essen, zerstören die Natur ohne begreiflichen Grund und teilen seltsam bedrucktes Papier aus, mit dem die Indianer herzlich wenig anfangen können. „Aber wie wollen sie leben, wenn sie alles zerstören?“, fragt sich Geronimo. „Ich weiß es nicht“, kommt die Antwort von Mangos Coloradas, „vielleicht sind sie einfach nur verrückt.“

Matz und Jef, die ja schon mit „Querschläger“ und „Tomboy“ jeweils ein Szenario von Action-Veteran Walter Hill in Szene setzten, gestalten das Geschehen hier wie einen Western des Altmeisters Sam Peckinpah, mit Stakkato-Bildabfolgen in den Kampfmomenten, die die für Peckinpah so charakteristischen Zeitlupen-Einstellungen stilecht umsetzen: „The Wild Bunch“ trifft auf Walter Hills „Last Man Standing“, möchte man fast sagen. Oft großformatige Bildabfolgen stehen neben wortlosen, gewalterfüllten Panels, die keine simplen Sympathien erlauben: Auch wenn Geronimos Handlungsmotive ehrenhaft sind, ist seine Rücksichtslosigkeit in Teilen nicht besser als die seiner Feinde. Dass die Scouts, die an die Versprechungen der Weißen glauben, am Ende in denselben Gefängnissen landen wie er, unterstreicht umso mehr die tiefe Ironie des Mythos der „Eroberung“ des Westens, der nichts anderes als eine gnadenlose Landnahme eines ganzen Kontinents war.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Matz (Text), Jef (Zeichnungen): Geronimo. Aus dem Französischen von Harald Sachse. Splitter, Bielefeld 2017. 120 Seiten. 24,80 Euro