Drinnen und draußen – „Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg“

Buenos Aires, irgendwann in der Zukunft. Die Stadt ist eine sogenannte Enklave. Eine von zahlreichen auf der Welt. Darin leben die Reichen, Privilegierten. Die, die Glück hatten. Der weitaus größere Rest der Menschheit haust in den äußeren Zonen, offenbar – wer will es verdenken – voller Neid und Hass auf die, welche alles haben. So nimmt es nicht wunder, dass es immer wieder zu Konflikten, zu Angriffen auf die Enklaven kommt, von denen ab und an auch eine fällt. Dies zu verhindern und dazu die Ordnung aufrecht zu erhalten liegt in den Händen der S.I., den Speziellen Interventionskräften. Das hochtechnisierte Elite-Korps der S.I. sorgt dafür, dass die Reichen drinnen und die Armen draußen bleiben, es wehrt Angriffe ab und ahndet Vergehen jeglicher Art. Als Polizei und Armee in einem. Eine dieser Einheiten, die aus vier S.I. Kräften besteht, wird von Vivian angeführt. Neben ihm gehören Vivians Freundin Nadia, Cicero und der aufbrausende Ulrich zum Team.

Richard Marazano (Text), Jean-Michel Ponzio (Zeichnungen): „Erinnerungen an den globalen Bürgerkrieg. Bd. 1“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter, Bielefeld 2017. 56 Seiten. 14,80 Euro

Nach einem schiefgegangenen Einsatz vor der Enklave kühlen die vier ihre Gemüter im Club „El Loro Azul“ (Der blaue Papagei) ab. Dort gibt es einen Zwischenfall – Vivian wird versehentlich von einem S.I. Mann angeschossen und fällt für sechs Monate ins Koma. Wieder daraus erwacht, wird er in sein Team eingegliedert, allerdings stellt man ihm dafür eine Therapeutin zur Seite: Ausgerechnet seine Ex Rachel soll über seine seelische Verfassung urteilen. Bei einem erneuten Einsatz, als man ein Gemetzel in einer Fabrik untersucht, findet Vivian einen Security-Mann von „El Loro Azul“ unter den Opfern. Und wir erfahren, dass sein Besuch in dem Club damals kein Zufall war. Und was hat es mit den apokalyptischen Träumen auf sich, die Vivian heimsuchen und in denen er sich als Verantwortlicher für Tod und Zerstörung brüstet?

Das dystopische gesellschaftliche Konzept extremer Ungleichheit – wir da drinnen, ihr da draußen –, auf dem die Handlung basiert, ist natürlich nicht neu und immer wieder gerne im Science-Fiction-Genre zu finden, sei es im Film („Elysium“) oder Comic, wie aktuell in Greg Ruckas und Michael Larks „Lazarus“. Hier, in der erneuten Zusammenarbeit von Richard Marazano (u.a. „Die drei Geister von Tesla“, „Absolute Zero“, „Die Expedition“) und Jean-Michel Ponzio („Der Schimpansenkomplex“, „Das Pelikan-Protokoll“), erfahren wir außer dem Grundprinzip von den gesellschaftlichen Strukturen und dem geschichtlichen Hintergrund erst einmal wenig (man spricht bei den Außeneinsätzen – erschreckend genug – von „sozialer Hygiene“…). Die Perspektive richtet sich ausschließlich auf die S.I. Einheit von Vivian, wobei hier ein wenig GI-Gehabe einfließt. Die S.I. schützen zwar die Enklaven, aber frei darin bewegen können sich deren Soldaten (nennen wir sie so) nicht. Auch nach Dienstschluss sind deren Freiheiten restriktiert, sie haben beispielsweise nicht überall Zugang. Erst nach der zehnjährigen Dienstzeit bietet sich Chance, dauerhaft in einer Enklave zu leben.

Die Geschichte startet etwas behäbig. Die Zusammenhänge zwischen dem Vorfall, bei dem Gefangene versehentlich (?) von einer Drohne getötet werden, und dem Club „El Loro Azul“ und damit Vivians Geheimnistuerei werden erst spät hergestellt. Auch dauert es, bis seine Kameraden aus der Einheit vertraut wirken. Vivians illustrierte Alpträume von Krieg, Aufstand und Zerstörung, womit der Serienauftakt auch beginnt, entfachen dagegen die Neugier. Handelt es sich dabei wirklich um Träume oder eher um Visionen der Zukunft? Wird Vivian später wirklich eine entscheidende Rolle in einer Revolution (siehe Titel) gegen die herrschende Klasse spielen? Wir werden sehen. Derweil glänzt Ponzio wie immer mit seinen beeindruckend realistischen Darstellungen – einmal mehr wirken die Personen aufgrund des feinen Strichs und der farblichen Abstufungen beinahe dreidimensional und realen Menschen nachempfunden. Was – nachteilig – auch mitunter hölzern wirken kann. Wie und ob sich diese Welt uns weiter erschließt, erfahren wir in Band 2, der in Vorbereitung ist.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.