Zwar kommen prominent besetzte Nebenfiguren aus den jeweiligen Primärfilm-Universen hier nur kurz (Gwyneth Paltrow als Iron Mans Geliebte), bloß per Foto (Natalie Portman als Thors Geliebte) oder gar nicht vor (Tommy Lee Jones als Captain Americas Ausbilder bei der US Army anno 1942). (Der von Anthony Hopkins gespielte nordische Allgöttervater und Hammerflüsterer Odin schläft weiter im Off der Erzählung, und das ist kein Schaden.) Trotz dieser Reduktionen ist „The Avengers“ randvoll übersät mit (Neo-)Stars unterschiedlicher Kaliber und Superhelden aus diversen – ohnehin bald auch wieder separat weiterlaufenden – Marvel/Disney-Franchises. Dazu gibts überraschende Cameos der Altspatzen Jerzy Skolimowski, Jenny Agutter und Harry Dean Stanton.
Angelegt als High-Concept-Irgendwas zwischen Kinofassung eines Comic-Sonderhefts und Ensemblefilm, Mashup-Style-Spätlese und Markenfusion setzt „The Avengers“ die seit Jahren akkumulierten Identitätskapitalien von Halbgott-, Hulk- und Hero-Figuren um: Alle wissen so einigermaßen, wer sie sind und was ihr Problem oder Kerngeschäft ist, nun können Allianzen durchgespielt werden im Kampf gegen Thors fiesen Adoptivbruder Loki (Tom Hiddleston) – zu zweit, zu dritt, im ganzen Team, mal zerstritten, mal durch künftig wohl weiter auszulotende mysteriöse Vergangenheiten verbunden, mal in Trauer oder Entschlossenheit vereint. Zählt man den bisher stets zumindest am Ende oder gar nach abgelaufenem Abspann der jeweiligen Marvel-Blockbuster aufgetretenen S.H.I.E.L.D.-Kommandanten und Oberfusionierer (Samuel L. Jackson) hinzu, dann kommen da an die zehn Superheld_innen zusammen, da ergeben sich schon rein mathematisch… sehr viele mögliche Konstellationen, und einige davon sind ja auch reizvoll; etwa die der beiden hormonell aufgedrehten Technikwissenschaftler (die bei Bedarf in Eisenhaut bzw. grüner Größe samt notorischer, hier offensiv thematisierter Hosennot agieren).
Das Tempo, mit dem Robert Downey Jr. und Mark Ruffalo ihre jeweiligen Eitelkeits- und Nervositätsmarotten virtuos absondern, zeugt weniger von Sinn für rhythmische Dynamik als vom Bemühen der Regie (Fernsehformelmastermind Joss Whedon, der auch das Drehbuch geschrieben hat), die in den Figuren eröffneten Potenziale in läppischen 142 Minuten ebenso pflichtfertig abzuarbeiten wie die 3D-Actionroutinen in Sachen Flugkünste und Leute-an-Wände-donnern-lassen. Scarlett Johansson ist zwar für manch überraschende kleine Handlungswendung gut, war aber auch schon mal kesser und kampfsportlich beeindruckender, und Jeremy Renner werden wir wohl nie wieder als so entspannten Actionfilm-Average-Guy erleben wie weiland in „28 Weeks Later“ oder „The Hurt Locker“.
Schmerzlich vermisst werden hier die Screwball- und Kauz-Komik, der schwelgerische Retrochic, die auschoreografierten Schwebemomente, die Politik- und Zeitgeschichtsbezüge der Watch-, Iron- und X-Men von 2009/10/11. Vergleichen wir nur die Dichte der Verweisnetze in Hinblick auf nachwirkende Nazi-Vergangenheit, jüdische Gegengewalt, antirassistische Bürgerrechtspolitik und homophobe Zwangsheilungsstrategien in den X-Men-Filmen (in den ersten drei und vor allem jenem von 2011) mit dem läppischen Moment in einer in Stuttgart – of all places – spielenden Szene von „The Avengers“, in der ein offenkundiger greiser Holocaust-Überlebender zwei Sätze lang gegen den göttlich-aristokratischen Menschheitsunterwerfer Loki anreden darf, dies nur, um dem sogleich anfliegenden Captain America die Anknüpfung an die ethischen Weihen seiner (historisch kontrafaktischen) antidiktatorischen Schutzschildkriegsführung aus dem Zweiten Weltkrieg zu erleichtern. Eher unangenehm ist in „The Avengers“ auch der politikfeindliche filmische Entwurf der Beziehung zwischen dem (einzig durch das Wissen um die Dringlichkeit der Lage legitimierten) Weltsicherheitsmanagement von S.H.I.E.L.D. einerseits und einem in orwellhafter Monitordüsternis auftretendem „Security Council“ anderseits, der offenbar auf die UNO oder die US-Regierung gemünzt ist.
Aber wie gesagt: Schon die Genre- und Franchise-immanenten Vergleiche fallen eher zu Ungunsten von „The Avengers“ aus. Den Satire-, Weirdness- und Traumatik-Level etwa von Jon Favreaus „Iron Man II“, seinem kommerziell erfolgreichsten und (wenn man den ganz aus der Art gefallenen, von Ang Lee biopolitästhetisch-pflanzenwuchernd inszenierten und aufgrund von umfassender Seltsamkeit eher gefloppten ersten „Hulk“-Film von 2003 weglässt) besten Vorgängerfilm, unterfliegt „The Avengers“ locker. Noch größer sind da wohl die Märkte, noch jünger (und eher weniger nerdig) sind die Kernzielgruppen, die dieser Film anpeilt; dementsprechend versprüht sein Endlosshowdown mit großstadtzertrümmernden Stahlriesenraupen mehr als nur einen Hauch von HASBRO-Spielwarenadaptionskino.
Dieser Text erschien zuerst auf: filmgazette.de
Marvel’s The Avengers
USA 2012 – 142 min.
Regie: Joss Whedon – Drehbuch: Joss Whedon, Zak Penn (Story) – Produktion: Kevin Feige – Kamera: Seamus McGarvey – Schnitt: Jeffrey Ford, Lisa Lassek – Musik: Alan Silvestri – Verleih: Disney – FSK: ab 12 Jahre – Besetzung: Robert Downey Jr., Chris Evans, Mark Ruffalo, Chris Hemsworth, Scarlett Johansson, Jeremy Renner, Tom Hiddleston, Samuel L. Jackson
Kinostart (D): 26.04.2012
Drehli Robnik, geb. 1967, Theoretiker in Sachen Film und Politik, Edutainer, Kritiker, Disk-Jockey. Doktorat Universität Amsterdam (2007). Universitäre Lehrtätigkeit in A, D, CZ, FL 1992-2015. Monografien zu Stauffenberg im Film, zu Jacques Rancière und zur Regierungs-Inszenierung im Kontrollhorrorkino. Herausgeber der Film-Schriften von Siegfried Mattl. In Arbeit: DemoKRACy: Siegfried Kracauers Politik[Film]Theorie.