Der deutsche Vasari der Comic-Szene – Willi Blöß

2012 wurde zum ersten Mal ein Comic – sogar eine ganze Comic-Reihe – mit dem Deutschen Biografiepreis geehrt. Es handelt sich dabei um die von Willi Blöß geschriebene und illustrierte Reihe „Künstler-Comic-Biografien“. Im Jahr 2000 begann der gelernte Architekt und freiberufliche Illustrator mit ebenjener Reihe, in welcher er pro Heft das Leben und die größten Werke einzelner Künstler behandelt. Ein Konzept mit Geschichte: Bereits im 16. Jahrhundert sammelte der Maler und Architekt Giorgio Vasari die Biografien toskanischer und umbrischer Künstler der vorangegangenen drei Jahrhunderte. Blöß‘ inzwischen aus 31 Comics bestehende Reihe hingegen befasst sich mit Künstlern aus aller Welt und unterschiedlichsten Epochen; von Nam June Paik über Frida Kahlo bis hin zu Hundertwasser und Wilhelm Busch stellt Blöß der Leserschaft Vertreter aus den verschiedenen Bereichen der Kunst vor – ein bisher einzigartiges Konzept innerhalb des Mediums. Dabei betont er, er recherchiere für seine Geschichten sehr sorgfältig und denke sich nichts selbst aus; allerdings habe er den Vorteil, als Illustrator Dinge visualisieren zu können, von denen es kein Bildmaterial gibt. Pro Jahr erscheinen zwei Hefte. An einem arbeitet er sechs Monate, von denen er allein vier für die Recherche benötigt. Er besucht Museen, holt sich die Meinung von Experten ein, liest und befragt gelegentlich sogar die Künstler selbst. Die „Künstler-Comic-Biografien“ sind nicht sein erster Kontakt mit dem Comic-Medium. Blöß schuf bereits während seiner Arbeit als Architekt unter anderem eine Cartoon-Serie über Raps- und Kartoffelanbau für eine Landwirtschaftszeitschrift und arbeitete Ende der 1990er fünf Jahre lang als Herausgeber des Comicmagazins „Outside“. Der Schritt weg von den Vorgaben hinein in die kreative Selbstständigkeit ermöglichte ihm schließlich, das Leben der Künstler allein nach seinen Vorstellungen zu behandeln. So ist er für das Layout, den Text, die Zeichnungen und schließlich die Publikation selbst verantwortlich.

Willi Bloess (Autor & Illustrator) Band 20: Gustav Klimt und der Jugendstil, S. 16 und 17

Dass es sich bei den etwa 25-seitigen Heften in DIN A6 Format nicht um lückenlose, vollständige Biografien handelt, versteht sich von selbst. Blöß arbeitet viel mit Museen und Schulen zusammen und sieht seine Werke als einen entspannten Überblick, der die Leserschaft zur Vertiefung des Themas einlädt. Passend dazu findet sich auf der vorletzten Seite eines jeden Comics eine Übersicht zur jeweiligen Kunstepoche. Auch die Literaturauswahl auf der letzten Seite bietet den Lesern einen Anreiz, tiefer in die Materie einzutauchen. Dass bei den „Künstler-Comic-Biografien“ die Bilder dominieren und Blöß den Text pro Comic auf maximal vier DIN-A4-Seiten reduziert, dürfte der Kunstvermittlung, gerade für jugendliche Schüler, nur dienlich sein.

Seinen Zeichenstil beschreibt Blöß mit nur einem Wort: „Anpassungsfähig.“ Er versucht nicht sein Handwerk, sondern das des jeweiligen Künstlers in den Vordergrund zu stellen. Dabei hält er allerdings stets an seinen lockeren, etwas groben, zum Teil schon an Skizzen erinnernden Zeichnungen fest und adaptiert nicht den Stil eines Künstlers. Vielmehr versucht er mittels Details wie aufgelösten Umrissen oder abstrakten Formen an die jeweilige Handschrift zu erinnern. Deutlich wird dies beispielsweise bei den Biografien Andy Warhols und Keith Harings, die Blöß mit für die Pop Art charakteristischen leuchtend-grellen Farben illustriert. Blöß betont, dass er bei seinen Comics immer das Hauptaugenmerk auf den Menschen, nicht auf den Künstler oder dessen Image legt. So erfährt man über Gustav Klimt, dass er einer der ersten Österreicher war, der ein Motorboot besaß, und auch, dass er mithilfe eines kleinen Elfenbeinrahmens Szenen von Menschen in der Natur wählte, welche er dann auf die Leinwand brachte. Aber natürlich verschweigen die Comics nicht die Öffentlichkeitswirkung und den Werdegang der Künstler. So lernt man dann auch noch den Klimt kennen, der von der Wiener Gesellschaft kopfschüttelnd und despektierlich als Monster bezeichnet wurde.

Willi Bloess (Autor),‎ Annette Schulze-Kremer (Illustrator) Band 2: Andy Warhol: Die Fabrik, S. 1 und 2

Bei dem Aufbau der Biografien folgt Blöß üblicherweise einer stringent chronologischen Anordnung: Jeder Comic beginnt mit der schriftlichen Erzählung der Geburt des Künstlers, mithilfe der Zeichnungen werden zudem Impressionen der jeweiligen Zeit sowie des Ortes vermittelt. Es folgt ein Abriss der Kindheit und Jugend mit Fokus auf die ersten Etappen der Künstlerkarriere sowie prägenden Ereignisse – beispielsweise Picassos häufige Stierkampf-Besuche oder sein Beiwohnen der Autopsie eines Blitzschlagopfers, dem zur näheren Untersuchung der Schädel gespalten wurde. Der Schaffensgipfel des jeweiligen Künstlers bildet die Klimax. Enden lässt Blöß seine Comics in der Regel mit dem Tod des Künstlers. Dies ist, abgesehen von der natürlichen zeitlichen Abfolge, dem Umstand geschuldet, dass Blöß es bevorzugt, über bereits verstorbene Künstler zu schreiben. Bei ihnen sei die Entwicklung schlicht abgeschlossen und eine gravierende Änderung oder weitere Ereignisse seien unmöglich. Eine Ausnahme dieses Strukturprinzips stellt die Biografie Vincent van Goghs dar. Die erste Seite des Comics, der Prolog, setzt erzählerisch sieben Tage vor dem Tod des Künstlers ein. Es folgt ein Titelbild, welches einen 37 Jahre alten van Gogh zeigt. Erst nach einer kurzen Auflistung seiner Werke und Künstlerbriefe setzt der Band nach dem gewohnten Muster bei der Geburt ein. Zwei weitere Ausnahmen bilden die beiden Biografien Otmar Alts und Klaus Staecks. Da beide noch leben, weicht Blöß hier ebenfalls von seiner üblichen Vorgehensweise ab.

Trotz oder eben aufgrund all seiner Mühe betont Blöß, dass man in Deutschland als Comic-Schaffender nach wie vor einen langen Atem brauche. Ein trauriger Umstand, bedenkt man beispielsweise den Stellenwert der Comics in Frankreich. Zur „neunten Kunst“ wurde das Genre dort erklärt, während es sich in Deutschland nur nach und nach von seinem Ruf der „Schundliteratur“ freikämpft. Nicht zuletzt das ist ein Grund, weshalb Künstler wie Willi Blöß mit ihren avantgardistischen Ideen und kreativen Werken Zeichen setzen und neue Wege ebnen.

Dieser Text erschien zuerst auf: blog.arthistoricum.net

Laura Glötter studiert im Master Kunstgeschichte an der Universität Heidelberg und verfasst Beiträge für das Themenportal Caricature&Comic. Im Sommer 2017 schrieb sie ihre Bachelorarbeit über die visuelle Narration des finnischen Volksepos in Don Rosas „The Quest for Kalevala“.