Die Welt braucht sie – Superheldinnen im Comic

Superheldinnen haben es nicht immer einfach. Als die Fantastic Four debütierten, regten sich manche Fanboys darüber auf, dass das Team kein reiner Männerbund war, sondern tatsächlich eine Frau mitmischte. Das ist lange her, über 50 Jahre. Heute dürfen und können Heroinnen längst alles, was ihre männlichen Kollegen machen. Weniger populär sind sie, von einigen Ausnahmen wie der kecken Catwoman abgesehen, aber nach wie vor. Zudem sind sie oft einem lächerlichen Aussehens- und Dresscode unterworfen: Melonengroße Brüste müssen ebenso sein wie Outfits, die an die Berufskleidung von Stripperinnen und Dominas erinnern.

W. Haden Blackman (Text), Mike Del Mundo (Zeichnungen): „Elektra. Bd 1+2“.
Panini, Stuttgart 2015. 124/140 Seiten. Je 16,99 Euro

Etwas aus dem Rahmen fällt da die 1981 von Frank Miller erfundene Auftragskillerin Elektra, in deren character design sich Crime-, Noir- und Superheldenelemente in interessanter Weise miteinander verbinden. Ursprünglich war sie nur eine Nebenfigur in „Daredevil“. Sechs Jahre später stellte Miller sie dann in den Mittelpunkt der brillant erzählten Action-Horror-Miniserie „Elektra Assassin“, deren von Bill Sienkiewicz direkt kolorierte, extravagante Bilder die Lektüre zu einem rauschhaften, tripähnlichen Erlebnis werden ließen. Alle weiteren Auftritte Elektras blieben erheblich unter diesem Niveau, und so ist es auch bei ihrem aktuellen Abenteuer. Hier kriegt es die Ninja-Dame mit Cape Crow zu tun, einem Killer im Ruhestand, dazu mit Bloody Lips, einem kannibalistischen australischen Serienmörder, der die Fähigkeiten und Erinnerungen seiner Opfer übernehmen kann. „Blutlinien“ ist wüster Trash, der Sensationen stapelt (Dinosaurier kommen ebenfalls vor) und sich dabei leider völlig ernst nimmt. Die Zeichnungen Mike del Mundos imitieren, teilweise ungeschickt, Sienkiewicz, verbunden mit ein paar Einflüssen von Bilal und Frank Frazetta.

Ein kleiner, überraschender Anlass zum Jubeln ist dagegen die „Ms. Marvel“-Serie. In ihrer bürgerlichen Identität war diese Heldin, die es seit 1977 gibt, bislang ein leuchtend blondes, langbeiniges All-American Girl namens Carol Danvers. Mit dem Relaunch hat sich dies radikal verändert: Kamala Khan, wie Ms. Marvel nun im normalen Leben heißt, lebt nicht im coolen New York, sondern im biederen New Jersey. Sie ist gerade 16 Jahre alt und eher ein Nerd: brünett, mittelhübsch, nicht allzu groß und schüchtern. In ihrer Freizeit publiziert sie im Internet Fanfiction. Vor allem aber: Kamala ist das Kind pakistanischer Einwanderer und daher, als erste amerikanische Superheldin, eine Muslimin.

G. Willow Wilson (Text), Adrian Alphona (Zeichnungen): „Ms. Marvel Bd. 1-3“.
Panini, Stuttgart 2015/2016. 124/140/180 Seiten. 16,99/16,99/19,99 Euro

Mit dieser Figur ist der Autorin G. Willow Wilson (einer aus Kamalas Heimatstadt gebürtigen Islamkonvertitin) nichts Geringeres als ein zeitgemäßes Update von Spider-Man geglückt. Wie der Netzschleuderer ist Ms. Marvel kein Übermensch, sondern ein friendly neighbourhood superhero. Die Welt braucht sie – zumindest am Anfang – nicht zu retten; stattdessen bewahrt sie ein Mädchen vor dem Ertrinken und verhindert einen Überfall in einem kleinen Supermarkt. Ansonsten muss sie in körperlicher wie seelischer Hinsicht erst einmal lernen, mit den Kräften, die ihr plötzlich zugefallen sind, zurechtzukommen.

Mit wenigen Strichen, aber differenziert skizziert Wilson, was es für Kamala bedeutet, als Muslimin aufzuwachsen, im Zangengriff zwischen partyfreudigen Mitschülern, die ihr mitunter mit Spott, mit Misstrauen begegnen, und einer Familie, die Wert auf Glauben, Tradition und Bildung legt. Die religiösen Werte, denen sich Kamalas Eltern verpflichtet fühlen, erscheinen als ambivalent: Friedlichkeit und soziale Verantwortung gehen Hand in Hand mit patriarchalischem Zwang. Kamalas Bruder, ein Nichtstuer, verkörpert die Versuchungen des Islamismus.

Ausbalanciert werden diese schwierigen Themen durch die zart kolorierten Bilder von Adrian Alphona, die zwischen Realismus und cartoonhafter Übertreibung oszillieren, wie auch durch Komödiantisches – etwa wenn sich Kamala in ihrer neuen Rolle tollpatschig anstellt oder feststellen muss, wie sehr ihr Kostüm im Schritt kneift. Die schönste Pointe besteht aber darin, dass „Ms. Marvel“, bei aller Innovation, den Superheldenmythos letztlich auf seine Ursprünge zurückführt: Denn schon Clark Kent alias Superman, der vom Planeten Krypton auf unsere Erde gelangte, ist ja nichts anderes als – ein Migrant.

Dieser Text erschien zuerst in der taz.

Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.