Jodorowsky revisited – „Anibal 5“

Anibal 5 ist halb Mensch, halb Maschine. Im Dienste eines zukünftigen vereinten Europa infiltriert, penetriert und terminiert der sexuell leistungsfähige Muskelprotz Terroristen, Invasoren und jede Menge weitere intergalaktische Störenfriede. Dabei gerät er immer wieder in scheinbar aussichtslose Situationen, denen er am Ende doch stets durch strategische Funksprüche der Kommandozentrale, seine etablierten Verführungskünste und rohe Gewalt entkommen kann.

Alejandro Jodorowsky (Text), Georges Bess (Zeichnungen: „Anibal 5. Gesamtausgabe“.
Schreiber & Leser, Hamburg 2018. 136 Seiten. 29,80 Euro

Alejandro Jodorowsky ist einer der wohl profiliertesten und kreativ kompromisslosesten Szenaristen der Comic-Geschichte. Auch der unbestrittene Klassiker „Der weiße Lama“ (ebenfalls mit Freund und Künstler Georges Bess) geizt nicht mit expliziter Darstellung extremer, teilweise auch sexueller Gewalt.

Trotz des parodistischen Grundtons, trotz der visuell erstklassigen Umsetzung mit zahlreichen Verbeugungen vor Moebius und Mézières verkommt die omnipräsente Sexualisierung in der gebundenen Gesamtausgabe leider meist zum reinen Selbstzweck. Selbstverständlich könnte man genau diese Tatsache als den Kern der hier formulierten Kritik an amerikanischen und japanischen Heldencomics interpretieren. Dort lassen sich schnell Beispiele auftreiben, in denen es vor allem um klassische Macho-Rollenklischees und Machtfantasien geht. Von der nicht sichtbar praktizierten, aber deutlich im Raum stehenden sexuellen Beziehung des altersschwachen Befehlsgebers „Pinky“ mit einem augenscheinlich minderjährigen Cyborg-Mädchen mal ganz zu schweigen. Diese Interpretation bliebe aber tatsächlich komplett der Spekulation des Lesers überlassen.

Neben teilweise tatsächlich sehr komischen, grotesken Momenten dominieren zotig-plumpe Altherren-Fantasien, über die auch große Namen wie Jodorowsky und Bess nicht erfolgreich hinwegtäuschen können. Dazu hätte es ein deutlicheres Bekenntnis gebraucht als die offensichtlich degenerierte Sprache und Kommunikation der Neu-Europäer, die den vorherigen Zerfall ethischer und moralischer Grundsätze als erzählerische Legitimation festlegt. Man könnte „Anibal 5“ auch als Hommage an das „Metal Hurlant“ verstehen, an die Tradition des Genre-Comics mit halbnackt-überzeichnete Darstellung seiner Figuren und brutal-archaischen Storys. Ob diese Verbeugung aber eine Rechtfertigung dafür sein kann, dass die Antagonistin im Finale um Gnade flehend zum rektalen Verkehr gezwungen wird, um anschließend durch eine Napalm-Ejakulation des Helden gerichtet zu werden, das sollte jeder Leser besser für sich selbst entscheiden.

Mattes Penkert-Hennig ist Betreiber des Online-Comicmagazins DeinAntiHeld.de, Autor für Comic.de, war Juror beim „Rudolph Dirks Award“, Panelmoderator auf Comicmessen und hat bereits viele Video-Interviews mit namhaften, internationalen Comic-Künstlen geführt. Darüber hinaus produziert er mit Begeisterung animierte Video-Trailer für Comics und artverwandte Medien.