Als das Superhelden-Genre erwachsen wurde – „Miracleman“

Über die Geschichte des britischen Superhelden Marvelman/Miracleman könnte man ein Buch schreiben. Einen Thriller, denn unterm Strich geht es in dieser Geschichte um (geistigen) Diebstahl, um Geschäftspartner, die sich permanent gegenseitig übers Ohr hauen, um die Vertuschung von Betrug, die sich über Jahrzehnte hinzog. Aber leider – all das muss in diesem Artikel außen vor bleiben. Hier soll es nur um die Veröffentlichungen in dem semi-professionellen Comicmagazin „Warrior“ gehen, die zwischen 1982 und 1984 erschienen.

Alan Moore, Neil Gaiman (Text), Gary Leach, Steve Dillon u. a. (Zeichnungen): „Miracleman Bd. 1-4“.
Panini, Stuttgart 2014-2016. 148/180/164/180 Seiten. 29/29/29/39 Euro

Alan Moore (und niemand anderes verbirgt sich hinter der Umschreibung „Der Originalautor“) schuf für dieses britische Magazin drei Serien: die satirische „Bojeffries Saga“, den Politcomic „V wie Vendetta“ und eben den Superheldencomic „Marvelman“ – die beiden letzten hängen auch inhaltlich zusammen, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Nach der Einstellung von „Warrior“ wechselten die Rechte zu dem amerikanischen Verlag Eclipse, der musste die Figur aus offensichtlichen rechtlichen Gründen in “Miracleman” umbenennen. Moore schrieb die Storys noch bis 1989 weiter, dann etablierte er seinen eigenen Nachfolger Neil Gaiman. Als Eclipse 1993 Konkurs anmelden musste, verschwand auch „MM“ in einem scheinbar undurchdringlichen Gestrüpp von rechtlichen Schwierigkeiten, von Freunden, die sich gegenseitig vor Gericht zerrten. Aber auch das ist eine andere Geschichte.

Erst jetzt wurde dieser gordische Knoten zerschlagen. In den USA erscheinen seit Anfang 2014 Reprints von „MM“ in Heftform, so komplett wie Eclipse das nie geschafft hat, alle Geschichten wunderschön neu koloriert von Comic-Legende Steve Oliff und jedes Heft mit reichlich Bonusmaterial ausgestattet. Nur eine Kritik gibt es: Die Originalveröffentlichung der ersten 20 Kapitel erfolgte in schwarz-weiß im übergroßen Magazinformat. Und das sieht man den Zeichnungen leider an. Die fantastische deutsche Ausgabe macht diesen Fehler gut, sie hat fast die Größe der alten „Warriors“-Hefte, dafür fehlt das Bonusmaterial der Hefte. Egal! Wichtig ist es, diese großartige Serie nach so vielen Jahren wieder einen neuen Generation von Lesern zugänglich zu machen.

Und was ist das für eine Geschichte! Am Anfang kommt „Miracleman“ noch relativ harmlos daher, eben wie der zweitklassige britische Rip-off einer amerikanischen Superheldenserie, der er ja auch war: Immer wenn der Journalist Mike Moran das magische Wort „Kimota“ (ein Akronym für „Atomik“) sagt, verwandelt er sich in den Superhelden Miracleman. Aber schnell wird klar, dass Moore eine viel größere Geschichte vorschwebt. Eine Geschichte, in der es um große Politik, schwache Menschen und die unabwendbare Apokalypse geht, düster, schwer, traurig.

Das mag heute, mit 30 Jahren Abstand, alles etwas prätentiös und aufgeblasen wirken. Aber Mitte der 80er Jahre war dies wirklich das erste Mal, dass das Superhelden-Genre erwachsen wurde und eine relevante Geschichte erzählte. Auf der Grundlage dieser Geschichten baute Alan Moore seine einzigartige Karriere auf, die ihn heute zu einem der wichtigsten Comicautoren der Gegenwart macht. Warum nun seine Name vom Verlag nicht erwähnt werden darf? Also das ist eine ganz andere Geschichte…

Dieser Text erschien zuerst 2014 im „Comix“-Magazin.