Brutal, kettenrauchend, müde – „James Bond Classic Story: Casino Royale“

„Morgens um drei erzeugt der Gestank nach Rauch und Schweiß in einem Casino Übelkeit.“ Mit dieser alles andere als lyrischen Beschreibung beginnt der Roman, in dem sich der langlebigste und berühmteste Agent der Welt 1953 erstmals die Ehre gab. Auch Van Jensen startet so in seine Graphic Novel-Umsetzung des ersten James-Bond-Abenteuers: In Royale-Les-Eaux in Frankreich tritt 007 dem berüchtigten feindlichen Agent Le Chiffre entgegen, dem Bond sinnigerweise nicht mit Waffengewalt, sondern am Spieltisch das Handwerk legen soll. Schafft es Bond, so der Plan, seinen Kontrahenten finanziell zu ruinieren, dann dürfte der auch bei seinen Auftraggebern erledigt sein. Tätig ist der gewissenlose Killer nämlich für Smersh, eine russische Geheimorganisation, die das Ziel verfolgt, allen feindlichen Spionen den Garaus zu machen (daher auch der Name, der aus den zwei russischen Wörtern smert shpionam, Tod den Spionen, zusammengefügt ist), die es gar nicht gerne sehen würde, wenn Le Chiffre sein eigentlich für den Aufbau der französischen kommunistischen Bewegung vorgesehenes Geld verprasst. Genau dafür soll der erfahrene Spieler Bond sorgen, indem er im Baccarat letztlich erfolgreich gegen den Russen antritt. Aber Le Chiffre denkt gar nicht daran, aufzugeben: kurz darauf entführt er Bonds Mitarbeiterin Vesper. Der nimmt die Verfolgung auf, landet dabei aber prompt selbst in der Gewalt der Fieslinge, die ihn von da an alles andere als sanft anfassen…

Van Jensen (Text), dennis Calero (Zeichnungen): „James Bond Classic Story: Casino Royale“.
Aus dem Englischen von Bernd Kronsbein. Splitter Verlag, Bielefeld 2018. 176 Seiten. 24,80 Euro

Gänzlicher neuer Ansatz aus dem Hause Dynamite: Während die James Bond-Graphic Novels von Warren Ellis oder Andy Diggle wie etwa „Vargr“, „Hammerhead“, „Kill Chain“ und „Eidolon“ lediglich nach Motiven Flemings eigene Geschichten erzählten, liefert Van Jensen eine werkgetreue Nacherzählung, die – wie im reichhaltigen Anhang zu studieren – zunächst wie ein Filmszenario entworfen und dann optisch umgesetzt wurde. Mit seinem durchschlagend erfolgreichen Erstling „Casino Royale“ schuf Ian Fleming, im Krieg selbst Geheimdienstmitarbeiter, schon 1953 die Blaupause für viele Konstellation, Motive und Figuren, die in den späteren Bond-Verfilmungen auftauchten: der Casino-Besuch, der trockene Martini (dessen Rezept Bond selbst kreiert), der Bentley, Personen wie M, Felix Leiter, Le Chiffre und Vesper Lynd, die finstere Organisation Smersh, all das findet sich in endlosen Variationen in den Kinoabenteuern wieder. Im Gegensatz zu den hochglanzpolierten Leinwandextravaganzen, in denen vor allem Roger Moore den jovialen Dandy gab, erscheint der Bond Flemings hier gänzlich anders. Sexistisch, brutal, teilweise überfordert, müde, kettenrauchend schleppt er sich durchs Spiel.

In die Falle, die ihm Le Chiffre stellt, tappt er aus Selbstüberschätzung und Arroganz. Anstelle lockerer Sprüche und glorreicher Siege erscheint das Agentenhandwerk hier dreckig, hinterhältig und unmenschlich, komplett mit Sprengsätzen, geheimen Waffen in Gehstöcken und übelsten Foltermethoden. Diese durchaus realistischen Züge, die Fleming wohl auch aus seiner eigenen Kriegshistorie her gekannt haben dürfte, nimmt auch Van Jensen in seiner Adaption auf, die in jedem Moment nahe an der Vorlage bleibt. Beschreibende Passagen und Dialoge entnimmt er direkt aus dem Roman, Bonds intuitiv-analytische Aufnahme seiner Umgebung erscheinen als innerer Monolog auch optisch abgesetzt. Entscheidende Szenen, wie etwa Chiffres Erkenntnis, das Spiel verloren zu haben, transportiert Dennis Calero in ausdrucksstarken, wortlosen Zeichnungen, wie auch die Folterszenen symbolisch-überhöht Bonds Pein transportieren. In jeder Hinsicht eine virtuose Version von Flemings Roman, dessen symbolreiche und metaphorische Sprache auf jeder Seite durchklingt und somit auch stilistisch den Geist der Vorlage atmet. Wie alle Bond-Bände ansehnlich als Hardcover aufgemacht und auch optisch wie ein gebundenes Buch gestaltet, fügt sich der Band nahtlos in die hochwertige Reihe bei Splitter ein.

Dieser Text erschienen zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.