Nie eingestandene Liebe – „Insel der Männer“

Der Großmachtwahn war geringer, die Kulturpolitik weniger völkisch-nationalistisch verblendet, und eine Entsprechung zu Auschwitz gab es nicht: Mit dem deutschen Nationalsozialismus verglichen, hatte die Bösartigkeit des italienischen Faschismus ihre Grenzen. Aber auch im Reich Mussolinis wurden Lebenswege untergraben, viele Menschen ermordet, Körper und Seelen malträtiert. Damit einem dies widerfuhr, war es nicht nötig, eine abweichende politische Meinung zu vertreten. Es reichte schon, einer sexuellen Minderheit anzugehören. „In Italien gibt es nur echte Männer“, verkündete der „Duce“ apodiktisch, und das hieß: Schwule waren geächtet.

„In Italia sono tutti maschi“ lautet im Original eine bemerkenswerte Graphic Novel, die unter dem Titel „Insel der Männer“ auf Deutsch erschien. Sie erzählt von Angelo, der im Salerno des Jahres 1937 mit seiner verwitweten Mutter eine Schneiderei betreibt. Als er eines Abends auf der Suche nach sexuellen Kontakten durch einen Park streift, geht er einem Spitzel in die Falle. Er wird zusammengeschlagen und auf die Adria-Insel San Domino Tremiti verbannt.

Über 300 Homosexuelle aus allen Teilen des Landes sind hier interniert. Die Priester und Lehrer unter ihnen dürfen ihre Berufe, für die es vor Ort Bedarf gäbe, nicht ausüben. Wachtmeister verfolgen die Gefangenen auf Schritt und Tritt – damit nichts „Unsittliches“ passiert. Zum Lebensunterhalt gibt es nicht mehr als ein paar Lire, um das Notwendigste kaufen zu können.

Luca DeSantis (Text), Sara Colaone (Zeichnungen): „Insel der Männer“.
Schreiber & Leser, Hamburg 2010. 176 Seiten. 18,80 Euro

Zugleich ist dieses Gefängnis aber fast eine Enklave der Freiheit. Man ist unter sich; zumindest aus geschlechtlichen Gründen steht niemand mehr unter sozialem Druck. Zwar gibt es Rabauken und Messerstecher, die vor wenig zurückschrecken. Dennoch bemühen die Verstoßenen sich, einen Geist der Geselligkeit und Gemeinschaft zu schaffen. Neuankömmlinge werden mit einem Strauß Blumen und einem bescheidenen Fest empfangen, auf dem ein Transvestit, der von einer späteren Karriere im liberalen Paris träumt, Lieder singt. Angelo hat zudem das Glück, den Bewachern nützlich sein zu können. Zwischen ihm und einem der Brigadieri, deren Uniformen er schneidert, entwickelt sich im Laufe der Jahre eine zarte, nie eingestandene Liebe.

Neben der Schilderung des Lebens auf San Domino geht es in „Insel der Männer“ um zwei Fernsehreporter, die Angelo 50 Jahre später nach seinen Erlebnissen befragen wollen. Zwischen den beiden Zeitebenen wird immer dann, wenns gerade spannend ist, hin- und hergewechselt. Diese Cliffhanger-Technik, sonst eher im Genre-Comic zu Hause, verleiht dem Geschehen zusätzliche Dramatik.

Außerdem dient die Gegenwartshandlung nicht nur dazu, nach und nach die persönlich gefärbten Motive der Reporter zu erfüllen. Sie verhindert auch, dass Angelo als Märtyrer erscheint. Denn der alte Herr ist keineswegs nur sympathisch. Er ist vielmehr ein Sturkopf und Grantler, der die Geduld seiner Begleiter mehr als einmal hart auf die Probe stellt.

Sara Colaone, die in Deutschland bislang unbekannte Zeichnerin von „Insel der Männer“, ist eine Entdeckung. In ihrer Beschränkung auf Schwarz, Weiß und die Farbe Ocker sowie in den kantigen Gesichtszügen ihrer Figuren lässt sich der Einfluss des US-amerikanischen Indie-Comic-Künstlers David Mazzucchelli erkennen.

Colaone arbeitete sehr abwechslungsreich: Sie verwendet gerne Split-Panels und Zeichnungen, die eine ganze Seite oder sogar eine Doppelseite einnehmen. Das ist vielleicht das Schönste an diesem Band: Den Rabatt, den man ihm aus Gründen seiner politischen Relevanz vielleicht einräumen würde, hat er überhaupt nicht nötig. Auch in rein ästhetischer Hinsicht vermag er die Leser zu fesseln.

Dieser Text erschien zuerst am 17.12.2010 in der taz.

Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.