New York, New York – „Jane“

Immer wieder werden für das Kino Werke aus der klassischen Literatur einem Lifting unterzogen und in die Gegenwart transportiert, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, eine neue Generation für die vermeintlich angestaubten Geschichten und Themen zu begeistern. Vor allem der gute alte Shakespeare wird dabei nicht verschont – so geschehen bei Hamlet, Romeo und Julia (die Pop-Version mit Leonardo DiCaprio) oder Richard III., wo die Handlung in ein faschistisches England der 1930er Jahre versetzt wurde. Bisweilen treiben diese „Neuauflagen“ auch kuriose Blüten, so zuletzt bei Jane Austens „Stolz und Vorurteil“, das mal eben um Zombies erweitert wurde – und floppte. Jetzt wagt sich mit Aline Brosh McKenna eine etablierte Drehbuchautorin (u. a. „Der Teufel trägt Prada“, „Wir kaufen einen Zoo“) nicht nur an das Medium Comic, sie modernisiert dabei auch noch einen Romanklassiker aus der viktorianischen Ära: „Jane Eyre“ von Charlotte Brontë, erschienen 1847. Und das klingt so:

Aline Brosh McKenna (Text), Ramón K. Pérez (Zeichnungen): „Jane“.
Panini, Stuttgart 2018. 228 Seiten. 25 Euro

Endlich hat die junge Jane genügend Geld gespart, um von zu Hause fortzugehen. Von der Familie ihrer Tante, wo sie stets vernachlässigt oder gar ignoriert wurde. Ihr Ziel: New York. Dort hat sie bei Hector eine Bleibe gefunden und will, da sie gerne und gut zeichnet, Kunst studieren. Aber um ein Stipendium zu erhalten, muss sie einen Job vorweisen, den sie dann auch recht schnell ergattert, nämlich als Nanny für ein kleines Mädchen. Das heißt Adele und hat einen stinkreichen Vater namens Edward Rochester, der seine Tochter als Workaholic sichtlich vernachlässigt. Die Mutter kam bei einem Raubüberfall ums Leben. Anfangs ist Jane der Job nicht geheuer. Das Appartement ist riesig, düster und einsam, hängt voller Bilder der toten Mutter. Und Rochester bleibt zuerst ein unnahbares Phantom. Doch im Gegensatz zu ihren Vorgängerinnen hält Jane Adele zuliebe durch. Ihre resolute und hartnäckige Art fällt auch dem Hausherrn auf, der langsam seine arrogante und herablassende Haltung Jane gegenüber aufzugeben scheint. Beide kommen sich näher. Doch Jane ahnt, dass Rochester ein gefährliches Geheimnis umgibt…

Die Story konzentriert sich ganz auf die Entwicklung des Verhältnisses zwischen Jane und Rochester. Janes Kindheit als Waisenkind, im Roman ausführlich geschildert, wird auf wenigen Seiten zu Beginn abgehandelt. Dennoch sind ihre Kindheitserfahrungen für sie prägend, als Motivation Adele weiter beizustehen und das Kind, das ebenfalls vernachlässigt und als Einzelgänger abgestempelt wird, zu unterstützen. Das scheint auch Rochester zu imponieren, der von seinem hohen Ross herabsteigt und sich plötzlich nicht nur mit seiner Tochter, sondern auch mit Jane beschäftigt. Aber während sich langsam eine traute Zweisamkeit einstellt – zumindest fühlt das Jane so – spürt sie auch, dass irgendetwas nicht stimmt. Warum muss sie sich um jeden Preis von der Tür im zweiten Stock fernhalten? Was verbirgt sich dahinter? Was verheimlich Rochester und warum verschwindet er immer wieder für Tage oder gar Wochen ohne ein Wort? In der zweiten Hälfte der Geschichte folgt dann die fulminante Aufklärung dieser Fragen. Hier überschlagen sich die Ereignisse und die geheimnisvolle Lovestory entwickelt sich zum Action-Thriller, in den Jane unfreiwillig hineingezogen wird. Inklusive feurig-dramatischem Finale.

Aline Brosh McKenna lässt ihre ganze Drehbuch-Erfahrung einfließen, die Story entfernt sich massiv von der literarischen Vorlage und wird zu einem Hollywoodstreifen in Comicform. Für die ist Zeichner Ramón K. Pérez verantwortlich, der v. a. durch seine mutige und erfrischende Adaption des Jim Henson-Drehbuchs „Tale of Sand“ auf sich aufmerksam machte und dafür diverse Preise einheimste. Schon seine Einführung beeindruckt: Jane sagt ihrer schwarz-weißen, tristen Vorstadt-Jugend ade und betritt ein New York, das von Panel zu Panel immer farbiger und bunter wird. Bei wichtigen Szenen variiert Pérez geschickt und erhöht damit die Dramatik: Einmal nutzt er Doppelseiten großflächig als Panorama, dann teilt er seine Seiten in viele gleich große Panels auf und symbolisiert damit filmische, schnelle Schnittfolgen. Und das sehr bewusst und vor allem clever eingesetzt. Insgesamt ein gelungener Band, optisch aufregend, wenn auch keine moderne Adaption des Romans, sondern eher aus Motiven daraus bestehend. Aber macht ja nix.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.