Tanz der Gefühle – „Die schwebenden Liebenden“

Gefühle halten keine Ewigkeit – das ist ein Schluss, zu dem Marion Fayolle in ihrem Comic „Die schwebenden Liebenden“ kommt. Eigentlich eine banale Erkenntnis – doch den Weg dahin gestaltet die Comic-Künstlerin so facettenreich und überraschend, dass die analytischen Einblicke in verschiedene Paarbeziehungen wie ein intimes Abenteuer wirken.

In diesem Buch schweben die Liebenden zum Beispiel: wenn sie als Paar über die Seiten tanzen und damit eine ungeheure Leichtigkeit vermitteln. Aber auch die Liebe selbst wird immer wieder in der Schwebe gehalten: Vor allem der Mann kann sich nicht so richtig auf die geliebten Frauen einlassen und findet immer wieder Gründe, warum diese aktuelle Liebe nicht ausreicht oder nicht die wahre ist.

Marion Fayolle (Text und Zeichnungen): „Die schwebenden Liebenden.“
Aus dem Französischen von Anja Biemann. Avant Verlag, Berlin 2018. 256 Seiten. 35 Euro

Am Anfang des Comics steht eine Beziehung, in die sich Routinen eingeschlichen haben. Der Mann liebt seine Frau, aber zugleich wünscht er sich, dass er noch einmal diesen magischen Moment erleben kann, als er seine Frau kennengelernt hat. Deshalb geht er Affären mit anderen Frauen ein und findet diese magischen Momente der Verliebtheit tatsächlich immer wieder. Voll und ganz genießen kann er die aber nicht. Vielmehr versucht er sich vor sich selbst zu rechtfertigen, erklärt, dass er es eigentlich gar nicht darauf anlegt, Frauen abzuschleppen, sondern dass es die Frauen sind, die den Verführer in ihm sehen und genau den in ihm wecken wollen.

Marion Fayolle schafft es, diesen Mann mit all seinen Brüchen und Zweifeln darzustellen. Wie er mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein in jede neue Beziehung geht, als der starke Mann, der aktive. Doch wenn es dann darum geht, die Beziehungen auszugestalten, wird dieser Mann ganz unsicher. Weil Beziehungen dynamisch sind, mal der eine der Starke ist, mal die andere. Und das ist nicht wirklich kontrollierbar.

Diese Liebesgeschichten werden nicht durch irgendwelche Alltagsdetails gestört, Fayolle zeichnet die Figuren mit einfachem Strich und ohne jeden Hintergrund, so als würden sie allein auf einer Bühne stehen. Wir erleben, wie der Mann sich in eine Frau verliebt, weil sie ungeheuer frei wirkt. Eine andere ist intellektuell überlegen und er genießt ihre Anregungen. Zugleich aber kann er nicht ertragen, dass diese Frauen frei und stark sind.

Fayolle inszeniert „Die schwebenden Liebenden“ wie ein Musical. Da tritt der Mann schon mal aus einer Situation heraus und adressiert sein Hadern und Zweifeln an ein imaginäres Publikum. Das wirkt oft, als würde er singen, weil viele seiner Texte gereimt sind. Dazu tanzen die Protagonisten immer wieder wie in einem Reigen. Alles fließt, nichts ist ewig, vor allem nicht die Gefühle füreinander.

Marion Fayolle macht das auch auf der Bildebene deutlich und lässt die Köpfe im Kuss schon mal davonschweben, als seien die Liebenden kopflos. Mitunter machen sich auch die Schatten der Protagonisten selbständig und tanzen beschwingt, während die Liebenden gerade im Disput alleine dastehen.

Gerade durch diese abstrakte und zugleich auch sehr sinnliche Form ist der Comic „Die schwebenden Liebenden“ ungeheuer vielschichtig.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 24.10.2018 auf: kulturradio rbb

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.