„Oink!“ – Wie wir bei Bastei das Ferkel rausließen – Oder: Als man bei Bastei überlegte Marvel aufzukaufen

Coverauszug der 35. englischen Ausgabe / Copyright: Syndication International/Fleetway Publications

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Das Unheil kommt meistens auf leisen Sohlen und trifft einen dann wie aus dem Nichts. Manchmal sieht man das Ungemach auch kommen und in einigen Fällen führt man es selbst herbei. Letzteres fällt in die Rubrik „Wenn der Esel zu übermütig wird, begibt er sich aufs Glatteis“.

So geschehen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre: Zu der Zeit ging es der Bastei-Jugendredaktion finanziell so gut wie selten zuvor und nie mehr danach. Aufgrund einer klugen Verlagspolitik liefen die publizierten Comics großartig, die Verkaufszahlen konnten kaum besser sein und fast jede Neuveröffentlichung entpuppte sich als Hit. Kein Wunder, dass man in der Redaktion vor Selbstbewusstsein nur so strotzte.

Damals war ich des Öftern mit Werner Geismar – dem Chefredakteur der Jugendredaktion – unterwegs. Während unserer Fahrten mit dem Zug oder Auto redeten wir meist über Comics und welche Serien für zukünftige Veröffentlichungen in Frage kämen. Manchmal stellten wir auch Überlegungen an, wie sich der Verlag neue Ziele setzen könne. Beispielsweise durch internatonale Expansionen wie den Aufkauf des US-Verlages Marvel.

„OINK“ #1 erschien bei „BASTEI“ Ende 1988.
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Über die Realisierbarkeit des Marvel-Projekts diskutierten wir irgendwann 1988 auf dem Rückweg von Hamburg. Dort hatten wir den Tag mit Winfried Debertin (dem Erfinder und Rechteinhaber der vom NDR ausgestrahlten Kindersendung „Hallo Spencer“) und Vertretern der Firma Interpill Media GmbH verbracht. Zwecks Vertragsgesprächen wegen der Herausgabe des „Hallo Spencer“-Magazins und des „Pillhuhn“-Comics bei Bastei und um mich als deren Autor vorzustellen.

Spät abends auf der Heimfahrt eröffnete mir Werner Geismar, dass er mit dem Gedanken spiele, den US-Verlag Marvel von Bastei aufkaufen zu lassen. Das klang zunächst etwas abenteuerlich, war aber gar nicht so abwegig. Die Marvel Entertainment Group, Inc. stand finanziell schlecht da. Wegen einer drohenden Pleite war der Verlag bereits 1986 an die New World Pictures verkauft worden. Nun steckte der Käufer inzwischen ebenfalls in finanziellen Schwierigkeiten, weshalb er Marvel abstoßen wollte.

Die Übernahme von Marvel wäre für Bastei durchaus machbar, allerdings auch ein finanzielles Risiko gewesen. Größtes Plus des Deals wäre für Bastei der direkte Zugang zum amerikanischen Markt. Gegen die Übernahme sprach die – damalige – Unrentabilität des US-Verlages. Im Geist sah ich mich schon Spider-Man-Storys schreiben. Letztendlich blieb es bei dem Gedankenspiel, zumal Bastei wenige Jahre später selbst in „schwieriges Fahrwasser“ geriet.

Auf einer anderen Tour sollten dann die Weichen zu dem gestellt werden, was eine der krassesten Anomalien im Verlagsprogramm von Bastei wurde: „Dr. Rübenschweins Oink“. Vorauszuschicken wäre noch, dass Verlage und Agenturen aus aller Welt regelmäßig Comics an die Jugendredaktion schickten, in der Hoffnung, die eine oder andere Serie als Lizenz verkaufen zu können. Werner Geismar wiederum leitete einen Teil der Hefte an mich weiter. Manchmal zur Sichtung, ob das Material für eine Veröffentlichung taugte, meistens aber, um seinen Schreibtisch von dem Papierstapel freizubekommen.

Unter all den Heften, die bei mir landeten, stach ein Magazin besonders heraus: „Oink“. Ein Produkt des englischen Verlages Fleetway, das oberflächlich betrachtet einer Kopie des US-amerikanischen „MAD“-Magazins glich. Doch „Oink“ war um ein Vielfaches radikaler, anarchistischer und geschmackloser.

„OINK“ #2 war der Stein des Anstoßes, über den Werner Geismar und ich direkt in das Büro des „BASTEI“ Verlegers Gustav Lübbe gestolpert sind.
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Das „Unheil“ begann an einem wunderbaren Sommertag im Jahre 1987 mit einer Fahrt nach Luxemburg. Für das Mädchenmagazin „Biggi“ plante Werner Geismar ein Interview mit Thomas German und Tommy Ohrner (dem früheren Hauptdarsteller der Fernsehserie „Timm Thaler“). Mich nahm er mit, weil ich Fotos von den beiden machen sollte (und vermutlich auch, damit ich im Leben auch mal was anderes zu sehen bekam als nur die Tastatur meiner elektrischen Schreibmaschine). Zu der Zeit arbeiteten German und Ohrner als Radio-Moderatoren bei Radio Luxemburg. Das Treffen startete mit einem Lacher, weil Thomas German und ich zufällig das gleiche Snoopy-Shirt trugen. Nach diesem lockeren Auftakt wurde es alles in allem ein rundum gelungener Tag.

Abends auf der Heimfahrt kamen wir irgendwann und irgendwie auch auf das englische „Oink“-Magazin zu sprechen. Wir amüsierten uns königlich bei dem Gedanken, was wohl wäre, wenn so ein schräges Heft von Bastei publiziert würde. Die Vorstellung hatte schon etwas Verführerisches, erschien aber realistisch betrachtet vollkommen utopisch.

Nach dem Ausflug hatte ich das Thema „Oink“ abgehakt. Bis mich Werner Geismar etliche Monate später anrief und mir den Auftrag erteilte das erste Heft von „Oink“ zu übersetzen, das per Post zu mir unterwegs sei. Um ganz sicher zu gehen, dass ich mich nicht verhört hatte, hakte ich zweimal nach, ob das wirklich sein Ernst sei. Die Antwort lautete zweimal „ja“. Wider besseres Wissen, dass das Projekt wahrscheinlich kein gutes Ende nehmen würde, machte ich mich also an die Arbeit.

Das erste „Dr. Rübenschweins Oink“ erschien Ende 1988. Es sollte bis Heft 2 dauern, ehe wir eine Reaktion darauf zu spüren bekamen, die dafür umso heftiger ausfiel: Zunächst beorderte mich Werner Geismar telefonisch nach Bergisch Gladbach zu einem Meeting mit dem Verleger Gustav Lübbe. In dessen Büro lief das Treffen dann so ähnlich ab wie das „Krisengespräch“ wegen der „Axel F.“-Comics. Mit dem Unterschied, dass Gustav Lübbe diesmal ohne einführenden Smalltalk sofort zum Thema kam.

Wir hatten uns noch nicht richtig auf das wuchtige Ledersofa gesetzt, da brach das Donnerwetter auch schon über uns herein. Gustav Lübbe schwenkte ein „Oink“-Heft durch die Luft, als wollte er damit einen Schwarm Fliegen verscheuchen. Mit hochrotem Kopf und erhobener Stimme verkündete er, dass er so eine „Schweinerei“ (man beachte das Wortspiel) in seinem Verlag nicht dulde.

Das „OINK“-Impressum unterschied sich sprachlich auch ein wenig von dem der anderen Bastei-Comics.

Die Strafpredigt dauerte fast eine Stunde, ohne dass Werner Geismar oder ich einen Ton gesagt hätten. Gustav Lübbe unterbrach seinen Monolog lediglich ab und an, um ungehalten in dem „Oink“-Heft herumzublättern und uns eine besonders skandalöse Passage daraus vor Augen zu führen. Immer wieder hielt er inne, starrte mit aufgerissenen Augen auf eine aufgeschlagene Seite und klappte das Heft dann kopfschüttelnd und kommentarlos wieder zu. Entweder weil ihm beim Anblick des Inhalts die Worte fehlten, es ihm die Sprache verschlagen hatte, oder beides. Mit der Anordnung, das Magazin auf der Stelle zu stoppen, entließ uns der Verleger schließlich aus seinen Gemächern.

Auf dem Weg zu seinem Büro sprachen Werner Geismar und ich kein Wort miteinander. Wir grinsten beide bloß wie die Honigkuchenpferde und fühlten uns ein bisschen wie Schüler, die der Lehrer beim Werfen einer Stinkbombe erwischt hatte.

Mit „Oink“ nahm es bei Bastei dann ein schnelles Ende. Anders als bei Comic-Eigenproduktionen, die in Studios gezeichnet werden mussten, war die Vorlaufzeit von Lizenzserien mit komplettem Artwork – bei denen bloß noch die Texte übersetzt wurden – ungleich kürzer. Dagegen waren bei komplett selbst produzierten Comics beim Erscheinen eines Heftes bereits die fünf oder sechs Nachfolgeausgaben in verschiedenen Produktionsphasen der Fertigstellung.

Von „Oink“ erschien, glaube ich, noch eine #3, dann war es Anfang 1989 vorbei mit Schweinerei. Abgesehen von dem kleinen Intermezzo beim Patriarchen des Verlages war nicht viel passiert. „Oink“ hinterließ keine roten Zahlen, sondern höchstens eine etwas perplexe Leserschaft.

Lange gezürnt hat uns Gustav Lübbe auch nicht. Sein Ärger verflog spätestens, als ihm die Verkaufszahlen des „ALF“-Comics vorlagen, dessen Lizenz Werner Geismar – ein bisschen auch mit meiner Unterstützung – für Bastei an Land gezogen hatte. Jedenfalls erhielt ich im Dezember erstmals eine persönliche Einladung von Gustav Lübbe zu der Weihnachtsfeier, die er jeden Dezember für die Redakteure seines Verlages ausrichtete.

In seinem Heimatland war „Oink“ bereits im Oktober 1988, nach 68 Ausgaben, eingestellt worden. Während ihrer Laufzeit hatten die schrägen Character mit ihren krassen Storys dem Publisher eine Menge Ärger eingebrockt. Permanent hagelte es Beschwerden vonseiten aller möglichen Organisationen. Eine große Ladenkette hatte „Oink“ sogar aus ihren Regalen verbannt.

Werner Geismar und ich hätten also vorgewarnt sein müssen. Dass wir das Projekt trotzdem bei Bastei durchzogen, ist wohl einzig und allein auf das „Wir-sind-die-Könige-der-Welt“-Syndrom zurückzuführen, dem er und ich offenbar aufgrund der oben erwähnten Erfolge anheim gefallen waren.

Oberflächlich betrachtet wirkte „OINK“ wie eine Kopie des US-amerikanischen „MAD“-Magazins. Doch war es um einiges radikaler, anarchistischer und geschmackloser.
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Einer der Helden von „Oink“ war ein Alien namens „Burp“ („Rülpser“), dessen Organe außerhalb seines Körpers ein merkwürdiges Eigenleben führten. Beispielsweise gründete seine Leber ein Verbrechersyndikat, das dann später von seiner linken Niere verhaftet wurde. „Burp“ reiste auch gern durchs Weltall und richtete mit Vergnügen auf anderen Welten Unheil an.
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„Tom Thug“ („eingedeutscht“ als „Paul, der Schläger“) war ein psychopathisch veranlagtes Kind. Gesegnet mit einem erschreckenden Mangel an Intelligenz versuchte er hartnäckig sein Haus zu verlassen, was zunächst an unüberwindlich scheinenden Problemen wie „Schuhe binden“ scheiterte. Als ihm das Unmögliche später doch gelang und er es hinaus in die Welt schaffte, brachte ihn diese Erfahrung immer wieder auf schnellstem Weg ins Krankenhaus.
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Dann gab es noch die skurrile Serie „Peter und sein Pickel“. Binnen weniger Sekunden blies sich auf der Nase (oder an einem anderen Körperteil) des Jungen ein gigantischer Pickel auf.
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Nicht zu vergessen „Psycho Gran, den psychopathischen Opa“, der sich vorzugsweise mit sexy Dessous bekleidet gern in Torten versteckte. Kleiner Insidergag: Der eingedeutschte Name bezieht sich auf den des Bastei-Redakteurs Rolf Hendriks.
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Da half selbst der wunderbarste Ratgeber nichts mehr, „Oink“ wurde in Deutschland engestellt.
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Ein original „Oink“-Heft aus England, das der britische Verlag Bastei zur Verfügung gestellt hatte.
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