Totally LOVED that Africa moment – „Aquaman“

© Warner Bros. Pictures

„Jules“ und „Verne“ sind die ersten beiden gesprochenen Wörter in „Aquaman“. Wenige Momente später rückt eine Ausgabe von H. P. Lovecrafts „The Dunwich Horror“ erst unauffällig, dann mit Nachdruck ins Bild. James Wan (Regie) und Will Beall (Drehbuch) machen um ihr Referenzsystem keinen Hehl: Die beiden Säulenheiligen und zentralen Stichwortgeber der modernen Fantastik bilden den Rahmen für den mittlerweile sechsten Beitrag zum arg krisengeschüttelten „DC Expanded Universe“: Jules Verne führte uns einst in die unzugänglichen Welten tiefster Tiefen und höchster Höhen, um uns dort so fremde wie wunderbare Welten aufzuzeigen, Lovecraft hingegen fürchtete im Allgemeinen nichts so sehr wie die gegenüber den Menschen indifferenten Leeren, in denen Weißgottwas schlummert, und erzählte im „Grauen von Dunwich“ im Besonderen von okkulten Hinterwäldlerexperimenten mit Familienlinien, die genetisch nicht ganz einwandfrei abliefen – gerade so wie der Titelheld (Jason Momoa) des vorliegenden Films aus der Liaison zwischen der eigentlich am Meeresboden beheimateten, zu Beginn des Films aber wie Aphrodite an die Küste von Maine gespülten Königin von Atlantis (Nicole Kidman) und einem einsamen Leuchtturmwärter (Temuera Morrison) hervorgegangen ist. (Wobei Lovecrafts Fischmenschhorrorgeschichte „Schatten über Innsmouth“ als Referenz vielleicht noch naheliegender gewesen wäre, aber lassen wir das fürs Erste.)

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Sprößlinge aus monarchischen Nebenlinien sind die Leib- und Magenspeise für zünftige Königsdramen – und so geht es auch in „Aquaman“ alsbald um königliche Machtanspruchs-Tändel. Die Welt von Atlantis, erfahren wir, ist in etwa so etwas wie das afrikanische Zauberland Wakanda aus dem Marvel-Erfolgsfilm „Black Panther“: Eine vor den Menschen verborgene Welt zwischen Archaik und High-Tech, die sich von der Monarchie nie emanzipiert hat und wo Herrschaftsansprüche unter den Betreffenden direkt ausgehandelt werden. So auch jetzt gerade, da die Menschen an der Erdoberfläche das Meer zusehends verdrecken. Doch zwischen den unterseeischen Königreichen herrscht kaum Einigkeit über das gemeinsame Vorgehen. Heißspund König Orm etwa (Patrick Wilson) giert nach Alleinherrschertum und plädiert für eine triumphale Rückkehr auf die Oberfläche, um den dort verbliebenen Menschen ihre Grenzen aufzuweisen. Dass diese Form radikaler Ökorevenge zu nichts Gutem führen kann, wird einigen rasch klar – weshalb sich eine Delegation aufmacht, um den unter seinem bürgerlichen Namen Arthur Curry auf der Erdoberfläche seine Superkräfte erst langsam erkundenden Aquaman, Orms Halbbruder und eigentlicher Herrscher über Atlantis, für den Kampf um die gute Sache zu gewinnen – ein Kampf, der nicht etwa auf dem Parkett der ozeanisch-höfischen Politik ausgefochten wird, sondern im Wettlauf darum, wer zuerst einen mythischen goldenen Dreizack aufstöbert.

Nach einem Cameo in „Batman v Superman“ (2016) und einer tragende(re)n Rolle in „Justice League“ (2017) hat Aquaman in dem ihm selbst gewidmeten Film bereits seinen dritten Auftritt im „DC Expanded Universe“, das seit seinem so furiosen wie umstrittenen Auftakt „Man of Steel“ (2013) sonderbar orientierungslos mal in die eine, mal in die anderen Richtung taumelt, stets verkniffen auf der Suche nach der Gunst des Publikums. Dieses flutet die Säle zwar, verlässt das Kino aber nur selten voll zufrieden, während es den Filmen des direkten Konkurrenten und „Shared Universe“-Vorreiters Marvel scheinbar spielend gelingt, nicht nur ein Heidengeld einzuspielen, sondern auch die Fans zu euphorisieren.

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Vom ursprünglichen Anspruch, in Abgrenzung zu den quirligen Bubblegumfilmen aus dem Hause Marvel auf düster-pathetische Stoffe mit einer dezidiert filmischen Optik zu setzen, hat man sich bei DC mittlerweile verabschiedet: In „Suicide Squad“ mündete die urbane Ästhetik bereits ins Schallali pulpiger Fantasy, „Wonder Woman“ (2017) – der einzige wirkliche Konsenshit der DC-Produktionsreihe – setzte konsequent darauf und mit all seinem Poseidon- und Atlantis-Nimbus kommt dieser Stil bei „Aquaman“ quasi schon eingebaut ab Werk. Sowohl der Neon-Pop-Pulp der Batman-Filme der 90er als auch der erdig-urbane Realismus von Christopher Nolans Batman-Interpretation gelten im DC-Kino-Universum mittlerweile offenbar als obsolet: Es geht um feenartige Königinnen, Soldaten-Armadas wie aus „Herr der Ringe“ und um magische Items wie einen goldenen Dreizack. Die ganze motivische wie ästhetische Misere zeigt sich in „Aquaman“ vielleicht am eindrucksvollsten in Dolph Lundgren, dem man in seiner Rolle als atlantischer Aristokrat mit rot gefärbten Haaren vor digitalem Pappmaché in ein liebloses „Barbarella“-Gedächtniskostüm gesteckt hat, aus dem heraus er dann mit den Augen rollen darf. Der Fantasyschmalz der 80er ist in irgendeinem alten Buttertopf wieder aufgetaucht und klebt wieder auf der Leinwand.

Kultur heute schlägt alles nicht nur mit Ähnlichkeit, sondern auch mit Dämlichkeit: Mit „Aquaman“ wollen Warner Films, Legendary Pictures und DC nach all den Shitstorms einen Publikumshit geradezu erzwingen – Fantasy-Gedöns, Marvel-Quirkiness in Sachen Witz und -Flatness in Sachen Optik, dazu am Ende noch der wirre Gastauftritt eines Riesenmonsters, das auffällig jenen Viechern aus den „Pacific Rim“-Filmen ähnelt, die Warner/Legendary Pictures praktischerweise ohnehin im Porfolio hat. Wenn es für eine Szene nach Afrika geht, wirft man schnell eine öde Coverversion von Totos „Africa“ ins Kino, weil sich herumgesprochen hat, dass der Song im ironischen Nostalgie-Seitenarm des Internets derzeit steil geht, dreht den Regler rasch rauf, dreht ihn rasch wieder runter – soweit also „Africa“. Irgendwer wird schon „OMG totally LOVED that Africa moment“ twittern. Bitte habt uns lieb.

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Vor dem Konzept eines minutiös aufgebauten „Shared Universe“ (das man als solches nicht mögen muss, im Fall von Marvel aber als Strategie immerhin stimmig und konsequent durchgezogen wurde) hat DC mittlerweile offensichtlich kapituliert. Nicht nur gibt es in der vorliegenden Quasi-Origin- bzw. Selbstfindungsstory kaum eine Ahnung davon, dass Aquaman bereits in „Justice League“ seine Feuerprobe als Held durchlaufen hat. Auch dass sich die in „Man of Steel“, „Suicide Squad“ und „Aquaman“ gezeigten Welten noch einigermaßen widerspruchsfrei unter einen Hut bringen lassen, scheint zweifelhaft. Spätestens wenn eine kataklysmische Schlacht um das Wohl und Wehe der Menschheit tobt, fragt man sich, wo um alles in der Welt sich eigentlich Superman als Wächter der Erde gerade herumtreibt, der nach seiner Wiederbelebung in „Justice League“ wieder integraler Bestandteil dieses Erzählkosmos sein müsste und dank Supergehör von einem solchen Spektakel doch sicher Wind bekommen müsste.

Im Grunde ist dies nur Ausdruck der Wurschtigkeit, die Filme solchen Schlags mittlerweile auszeichnet. Der „Sense of Wonder“, der mit Spektakel-, Blockbuster- und phantastischem Genrekino einmal einherging, ist längst totgeschlagen und den Hitzetod gestorben, alles wirkt beliebig zurechtgestutzt, das Haben von Spaß – jetzt aber bitte wirklich – mit Nebelhörnern von der Leinwand herab ins Kino deklariert, die Referenzen willkürlich zusammengeschustert. Irgendwem wird das mit Toto, Jules Verne und Lovecraft schon auffallen. Und uns dafür ganz sicher lieben. Und was darüber twittern. Oder was darüber schreiben. Beim Perlentaucher zum Beispiel. Passt ja. Perlen, tauchen, Aquaman. Meh.

Dieser Text erschien zuerst am 19.12.2018 auf perlentaucher.de.

Aquaman
Australien / USA 2018

R: James Wan – B: David Leslie Johnson-McGoldrick, Will Beall – A: Paul Norris, Mort Weisinger – P: Rob Cowan, Peter Safran – K: Don Burgess – S: Kirk M. Morri – M: Rupert Gregson-Williams – A: Bill Brzeski – V: Warner Bros. Pictures – L: 143 Min – FSK: 12 – D: Jason Momoa, Amber Heard, Nicole Kidman, Patrick Wilson, Dolph Lundgren, Willem Dafoe, Yahya Abdul-Mateen II, Ludi Lin, Temuera Morrison – Filmstart in Deutschland: 20.12.2018

Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.