Ohne Tod kein Glück – „The Old Guard“

„Dies ist ein Märchen aus Blut und Kugeln“, schreibt Autor Greg Rucka einleitend zu diesem Band. Also gut: Es war einmal eine Gruppe Söldner, die im Kampf einen entscheidenden Vorteil hatten. Sie konnten nicht sterben. Auch wenn mal das halbe Hirn weggeschossen war – kein Problem, heilt. Und das flott. Warum sie unsterblich waren, wussten sie nicht, fest stand nur: Wenn irgendwo auf der Welt ein(e) neue Untersterbliche(r) auftauchte, fanden sie einander. Jahrhundertelang – für manche noch viel länger – ging das gut. Als eingespieltes Team, das abseits der Normalsterblichen in geheimen Unterschlupfen lebte. Und wenn sie nicht gestorben sind (was demnach ja auszuschließen ist), dann leben sie noch heute.

Greg Rucka (Autor), Leandro Fernández (Zeichner): „The Old Guard Band 1“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Splitter Verlag, Bielefeld 2017. 184 Seiten. 24,80 Euro

Im Prinzip ja, aber nicht ganz. Oder wie sagt man jenseits vom Märchen: Es ist kompliziert. Denn bei einer vermeintlichen Routine-Mission, die ihnen der Ex-CIA-Mann Copley überträgt – die Befreiung von entführten Kindern im Süd-Sudan – werden die Unsterblichen Andy (sie ist die Älteste und damit die Chefin), Nicky, Joe und Booker geleimt: Statt Kinder wartet im Verlies eine kleine Armee auf sie. Und eine Kamera. Die dokumentiert (und sendet), wie die vier, die modern mit Sturmgewehren und archaisch mit Streitäxten und Schwertern kämpfen, von Kugeln durchsiebt werden und trotzdem einfach weitermachen, bis alle Gegner anständig gemetzelt sind. Copley, der die Falle stellte, arbeitet für den stinkreichen, sadistischen und völlig skrupellosen Industriellen Steve Merrick, der natürlich hinter dem Geheimnis der Unsterblichkeit her ist. Und alles dafür tut, vornehmlich mit Gewalt. Als dann noch Nicky und Joe entführt werden und klar wird, dass man erstmals aufgeflogen ist, handelt der Rest der Gruppe, zu der sich als „Küken“ inzwischen die Neu-Unsterbliche US-Soldatin Nile gesellt hat…

Wie viele Menschen hat man kommen und gehen sehen, wie viele geliebt und sterben sehen, während man nicht altert? Wie viele Kulturen hat man blühen und untergehen sehen? Wie viele Sprachen gesprochen? Und: Wie oft wurde man bereits tödlich verletzt, nur um dann wieder wie neu weiterzumachen? Kein Wunder, dass Andy, die Älteste, die einst Andromache hieß, dieses Dasein satt hat. Sie hat alles gesehen, alles erlebt. Was bleibt, ist die Sehnsucht nach dem Tod. Denn nicht sterben zu können, heißt immer obenauf sein, immer zu gewinnen. Im Kampf. Doch Merrick entlarvt die Gruppe, mithilfe des gekauften Copley und eines Verräters (wer, wird nicht verraten) in den eigenen Reihen. Die alte Garde besteht ausschließlich aus Kriegern. Andy (zählt inzwischen fast 6800 Lenze…) kämpfte bereits in der Antike, Booker im Russland-Feldzug unter Napoleon, und Nicky und Joe töteten sich bei den Kreuzzügen gegenseitig, ehe sie ihre Unsterblichkeit entdeckten. Auch Nile als Marine in Afghanistan weiß nicht, wie es um sie geschieht, als sie tödlich verletzt stirbt, nur um dann aufzuwachen, als sei nichts passiert.

Neben dieser „Highlander“-Variante („Es kann nur einen geben“), die das Kernmotiv bildet, entwickelt sich eine Agenten-/Söldner-Story, die mit furioser und expliziter Action aufwartet und dabei immer wieder entschleunigt, indem sie Rückblicke in das lange, lange Leben der Old Guard gestattet. Ein Leben der freiwilligen Ausgrenzung um der eigenen Sicherheit wegen. Und ein Leben, das inzwischen voller Frust in einem Scheißegal-Modus geführt wird. Der Bösewicht Merrick, der das Geheimnis des ewigen Lebens entschlüsseln will, ist dabei eher stereotyp angelegt, wenngleich er sich durchaus als grausamer und auch gewitzter Gegenspieler erweist. Wohin die Story führt, bleibt Star-Autor Greg Rucka (seine Serie „Lazarus“ spielt ja auch mit Unsterblichkeit) überlassen, die Wege und Möglichkeiten sind schier endlos. Der Stil des Argentiniers Leandro Fernández, der bereits Etliches für Marvel zeichnete, erinnert ein wenig an den seines Landsmannes Eduardo Risso („100 Bullets“, „Vampire Boy“). Großzügige, kontrastreiche Schwarzflächen, markante Gesichter, Panels mit spärlichen Hintergründen, die Konzentration auf das Wesentliche. Auch die blassen, ungewöhnlichen Farben verleihen dem Band zusätzlich einen eigenen Look. Die stylishen US-Cover (auch die Variants) sind mit abgedruckt und beschließen den Band. Jetzt heißt es warten, denn das Märchen ist noch lange nicht zu Ende.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.