Hier ist nichts abgeschlossen – „Engels – Unternehmer & Revolutionär“

Corona hat in diesem Jahr vieles durcheinandergewirbelt, dazu gehört auch die für Verlage notwendige Antizipation von Themen, die die Feuilleton-Redaktionen beschäftigen werden. Aber ob Friedrich Engels 200. Geburtstag eine solch sichere Nummer sein wird wie beispielsweise 250 Jahre Beethoven, darf zumindest für bürgerliche Blätter bezweifelt werden. Drum erfreut es erst recht, dass die rührige, in Engels‘ Geburtsort Wuppertal ansässige Edition 52 zum Jubiläum gleich zwei Comic-Veröffentlichungen herausgebracht hat. Auf die bereits Ende des vergangenen Jahres erschienene Cartoonanthologie „Engels-Gesichter“ folgt nun die Comicbiografie „Engels – Unternehmer und Revolutionär“, ein schmaler Band von rund 150 Seiten, dessen Volumen gar nicht erst den trügerischen Eindruck erweckt, hier solle erschöpfend ein Lebenswerk ins Bild gesetzt werden.

Christoph Heuer (Zeichnungen und Szenario), Fabian W. W. Mauruschat (Szenario), Uwe Garske (Szenario): „Engels – Unternehmer & Revolutionär“.
Edition 52, Wuppertal 2020. 156 Seiten. 18 Euro

Man kann eine Biografie von A nach B erzählen und dadurch suggerieren, dass ein Leben nach Plan abläuft. Comiczeichner Christoph Heuer und seine beiden Szenaristen, der Journalist Fabian W. W. Mauruschat und Edition-52-Mitinhaber Uwe Garske, sparen sich die Genre-Pflichtschuldigkeit und organisieren ihr Material nicht chronologisch, sondern thematisch. Das führt in den vier Kapiteln zu allerlei Zeitsprüngen, die die Aufmerksamkeit fordern und dafür mit Reflexionen belohnen, die das dargebotene Elend, ganz Marx, bis in die Gegenwart an seine Gesetzmäßigkeit binden. Engels mag tot sein, der Kapitalismus ist es nun mal nicht.

Wir sehen also, wie Engels‘ autoritärer Vater die Schneeballschlachten des jungen Sohnes zur „gottlosen Rauferei“ erklärt und ihm die Flausen mit Kirchgängen austreiben will, sind bei Engels ersten Schritten zum Unternehmer dabei und werden auch mal knapp über den „tendenziellen Fall der Profitrate“ belehrt. Am eindrücklichsten aber ist der Blick in die Arbeiterelendsquartiere in Manchester, der einerseits Engels prägte und uns andererseits die ungebrochene Kontinuität der kapitalistischen Ausbeutung bewusst macht: Ob in Manchesters Slums 1843 oder in Flüchtlingslagern 2020 – die Menschen leben in Ställen und müssen Abwasser trinken. Diese Anbindung zur Gegenwart sucht der Prolog nochmals ganz explizit, Engels bleibt Teil einer fortzuführenden Ideengeschichte, hier ist nichts abgeschlossen. Wer dann das ganze Programm theoretisch vertiefen will, bekommt im Literaturvereichnis „Information & Inspiration“ gereicht.

Diese Kritik erschien zuerst am 14.10.2020 in: Junge Welt, Literaturbeilage Frankfurter Buchmesse

Sven Jachmann ist Comic.de- und Splitter-Redakteur und Herausgeber des Filmmagazins filmgazette.de. Beiträge u. a. in KONKRET, Tagesspiegel, ND, Taz, TITANIC, Junge Welt, Jungle World, Das Viertel, Testcard sowie für zahlreiche Buch- und Comicpublikationen und DVD-Mediabooks.

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