TILLIE WALDEN: Mit viel Gefühl

Kann eine autobiografische Panel-Geschichte über das Eiskunstlaufen, die zwischen Coming-of-Age und lesbischem Coming-out verortet ist, begeistern? Sie kann. Jedenfalls wenn sie von der texanischen Autorin und Zeichnerin Tillie Walden stammt. Ihr im Englischen frisch erschienener Comic-Roman „Spinning“, in dem sie ihre Jugend und ihre Selbstfindung auf und abseits der Eisbahn portraitiert, überzeugt von der ersten bis zur letzten Seite. Man spürt alle Gefühle und alle Formen von Kälte und Wärme, während Walden mit ihrem unaufgeregten, eher minimalistischen Zeichenstil, ihrem exzellenten Gespür für Tempo sowie ihrem Talent für ruhige Szenen brilliert, zumal sie nie darauf aus ist, sich oder ihrem Leser alle Antworten zu geben.

Schon ihre vorherigen Werke versetzten einen in Staunen, da Walden die großen Dinge ganz gefühlvoll herunter zu brechen vermag und doch stets unheimlich leicht erzählt und illustriert. Etwa das subtile, fantastische „The End of Summer“ oder das ebenfalls autobiografische, für den Eisner Award nominierte und mit dem Ignatz Award ausgezeichnete „I Love this Part“. Und dann ist da ja noch der umfangreiche Science-Fiction-Webcomic „On A Sunbeam“ über ein Weltrauminternat, Fischraumschiffe und galaktische Bauarbeiter, den Walden mit denselben künstlerischen Tugenden und einer Extraportion Vorstellungskraft innerhalb eines Jahres konsequent vom ersten bis zum zwanzigsten Kapitel durchgezogen hat. Beeindruckend. Auf ihrer Homepage findet man dagegen zahlreiche Kurzgeschichten.

Der Stil der 1996 geborenen Walden, die seit der High School zeichnet und das Center for Cartoon Studies besuchte, ist modernen unabhängigen Comic-Literaten aus Nordamerika ebenso nahe wie den avantgardistischeren Vertretern unter den japanischen Mangaka; ihre Storys könnten jedoch genauso gut aus dem Umfeld der jüngeren frankobelgischen Künstler-Generation stammen, und letztlich ist das sogar völlig egal – wer bereits in diesem Alter solch außergewöhnliche Bildergeschichten realisiert, braucht kein anderes Etikett als seinen Namen.

Tillie Walden? Eine der Entdeckungen der letzten Jahre.

Und hoffentlich bald auch bei einem deutschen Verlag.

Tillie Walden: Spinning. First Second, New York 2017. 396 Seiten, Paperback m. Klappenbroschur, $17,99. Sprache: Englisch