„Der nasse Fisch“ – Gereon Raths erster Fall

OD_9783551782489_Nasser_Fisch_U1.inddBerlin, im Frühjahr 1929. Unruhige Zeiten. Die Weimarer Republik steuert langsam auf ihr Ende zu. Kommunisten marschieren in den Straßen und der Nationalsozialismus bekommt immer mehr Zulauf. Der junge und ehrgeizige Polizist Gereon Rath wurde gerade von Köln in die Hauptstadt versetzt. Eigentlich wollte er zur Mordkommission des berühmten Kommissars Ernst Gennat, landet aber bei der Sitte. Als ein Unbekannter, der vor seiner Ermordung offenbar noch gefoltert wurde, im Landwehrkanal gefunden wird, gelangt Rath zufällig an Informationen über den Fall, die er jedoch vorerst für sich behält. Er lässt die Polizei weiter hinsichtlich Täter, Motiv und Identität des Toten im Dunkeln tappen und ermittelt auf eigene Faust, um so im Erfolgsfall zur Mordkommission überwechseln zu können. Tatsächlich wird Gennat auf den eifrigen Polizisten aufmerksam. Und Rath findet sich bald in einem Ermittlungs-Gewirr aus verschollenem russischen Gold und korrupten Kollegen wieder und gerät schließlich selbst in die Schusslinie…

Arne Jysch erregte bereits mit seiner ersten Graphic Novel „Wave and Smile“, die den deutschen Afghanistan-Einsatz thematisierte und ebenfalls bei Carlsen erschien, Aufmerksamkeit. Jetzt präsentiert er eine Comic-Adaption des gleichnamigen Buches von Volker Kutscher. „Der nasse Fisch“ ist Kutschers erstes Werk mit seinem Kommissar Gereon Rath, der inzwischen bereits in sechs Romanen ermittelt. Dazu entsteht gerade eine 16-teilige TV-Serie mit dem (vorläufigen) Titel „Berlin Babylon“, die ebenfalls die Fälle Raths zum Thema hat. Regie der aufwändig produzierten Reihe (Budget: 40 Millionen Euro!) führt Tom Tykwer (Lola rennt, Das Parfüm, Cloud Atlas). Der Sendestart ist für den Herbst geplant.

Jysch und Kutscher lassen Kommissar Rath im Roman und im Comic nicht nur vor einer Zeitenwende ermitteln. Vielmehr spielt der geschichtliche Hintergrund eine wichtige Rolle in der Handlung. So werden die Mai-Unruhen (auch Blutmai genannt) von 1929 thematisiert, als das radikale Vorgehen der Polizei gegen die Demonstranten zahlreiche Todesopfer forderte. Dann spielen die noch immer zarentreuen Exilrussen eine Rolle, wie auch die politisch noch starken Kommunisten. Auch die Nazis prägen immer mehr die politische und gesellschaftliche Landschaft. Dazu kommen authentische Milieu-Darstellung und als I-Tüpfelchen die historische Berliner Mordkommission, die damals gegen Ende der Goldenen Zwanziger unter der Leitung von Ernst Gennat internationale Berühmtheit erlangte. Denn Gennat, den man aufgrund seiner Leibesfülle auch „Buddha“ nannte, führte moderne Ermittlungsmethoden ein und erreichte so eine für die damalige Zeit traumhafte Aufklärungsquote von über 90 % bei allen Mordfällen.

So breitet sich dem Leser ein detailgetreues, historisch genau reproduziertes und akribisch recherchiertes Portrait von Stadt und Gesellschaft aus. Rath ermittelt in feinen Kreisen wie auch in den Ringvereinen, den Gangs der Unterwelt. Er hangelt sich von Hinweis zu Hinweis, kombiniert geschickt und setzt immer mehr Puzzleteile zusammen. Dabei trifft er ständig auf vermeintliche Nebenpersonen, die dann später in ganz anderem Licht erscheinen. Die Handlung vergisst nichts und niemanden. Alles hängt irgendwie zusammen. Am Ende präsentiert die Story einen echten Showdown, der in eine handfeste Überraschung mündet. Am ehesten lässt sich der Band – optisch wie inhaltlich, als auch atmosphärisch – als Mischung aus zeitgenössischen Milieu- und Gangsterstücken, Noir-Werken wie dem Malteser Falken und der Aufklärungsarbeit von Leo Malets Inspektor Burma vergleichen. Fast erwartet man, Peter Lorre aus Fritz Langs „M“ würde irgendwann um eine düstere Ecke huschen oder Doktor Mabuse würde in eine seiner zahlreichen Verkleidungen schlüpfen. Tatsächlich gibt es einen Unterweltboss namens Doktor M. (der hier zwar Marlow heisst), was man getrost als Hommage verstehen kann. Das ominöse Russengold ist der McGuffin, der Auslöser und Motor der Geschichte und die akribische Ermittlungsarbeit, sowie die nicht wenigen Nebencharaktere, die allesamt eine Rolle im Fall spielen, erinnern an die Fälle Nestor Burmas.

Allein die charakteristischen Konturen des Hauptakteurs Kommissar Gereon Rath könnten etwas schärfer geschnitten sein. Stets bleibt er etwas blass, irgendwo zwischen Draufgänger mit Spürnase und Kombinationsgabe und skrupelloser Karrierist, der sich nicht scheut, die Hierarchie zu durchbrechen und sich direkt an den Polizeipräsidenten zu wenden, wenn es seinem Werdegang und einen Zielen förderlich und dienlich erscheint. Kein hundertprozentiger Sympathieträger. Zeichnerisch leistet Jysch hervorragende Arbeit: die Personen und deren Gesichter sind in feinem Schwarz-Weiß herausgearbeitet und dabei markant geschnitten. Das historische Berlin fungiert als heimlicher Hauptdarsteller (wie Paris bei Malets Burma). Überhaupt scheint Berlin die deutsche „Comicstadt“ schlechthin zu sein. Zuletzt – auch bei Carlsen – erzählte Reinhard Kleist seine „Berliner Mythen“ (zuvor ließ er in „Berlinoir“ Vampire auf die Stadt los). Jason Lutes‘ „Berlin“ spielt zur gleichen Zeit wie „Der Nasse Fisch“ (inkl. Thematisierung des Blutmais). Auch bekannte Zeichner wie Dirk Schulz („Indigo“) und Marvano („Der ewige Krieg“) präsentierten bereits Berlin-Comics. Insofern führt Arne Jysch hier eine Tradition gelungen fort.

Arne Jysch, nach Volker Kutscher: Der nasse Fisch. Carlsen, Hamburg 2017. 216 Seiten, 17,99 Euro