Die Einsamkeit der Superhelden – „Black Hammer“

Früher war alles besser. Was in der Regel eine inhaltsleere Aussage ist, gilt für die illustren Bewohner einer Farm in der Mitte von nirgendwo als bittere Realität. Denn hinter der bunten Bande, die sich für die Bewohner des nahen Städtchens als zurückgezogene, dysfunktionale Familie ausgibt, verbirgt sich niemand anders als eine Truppe ehemaliger Metawesen – oder Superhelden, wie man die ja früher nannte. Bis vor exakt zehn Jahren beschützten Abraham Slam, Golden Gail, Barbalien, Madame Dragonfly, Colonel Weird und vor allem der mächtige Black Hammer nämlich die Metropole Spiral City vor Kroppzeug jeglicher Art. Bis der Weltenvernichter Anti-Gott auf den Plan trat, bei dessen Bekämpfung der Anführer Black Hammer sein Leben ließ – und sich die restlichen Recken plötzlich in einem Farmhaus auf einer entlegenen Ranch wiederfanden. Der Haken an der Sache: Eine Rückkehr scheint nicht möglich, jeder Versuch, die Stadtgrenzen zu verlassen, scheitert an einer Art Energiefeld, hinter dem auch stets die Sonden verschwinden, die der rührige Roboter Walky Talky unermüdlich sendet.

Jeff Lemire (Text), Dean Ormston (Zeichnungen): „Black Hammer. Bd. 1“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Aust. Splitter, Bielefeld 2018. 184 Seiten. 19,80 Euro

Die Kämpfer verdauen ihr unfreiwilliges Exil unterschiedlich gut: Der alte Abe Slam knüpft zarte Bande zur Ex-Frau des lokalen Sheriffs und versucht, sich möglichst mit der Lage abzufinden, auch wenn der eifersüchtige Bulle das gar nicht gerne sieht. Barbalien, der Krieger vom Mars, der als Mark Markz unerkannt unter den Menschen wandelt, freundet sich mit dem örtlichen Pfarrer an und entwickelt sogar zarte Gefühle. Weniger frohgemut ist da schon Lady Dragonfly, die sich in eine kleine Hütte im Wald zurückzieht und dort ihrer Magie frönt. Colonel Weird driftet immer öfter in die Para-Zone ab, die ihn zu einem geisterhaften Halbwesen macht und nach und nach den Verstand raubt. Am heftigsten allerdings rebelliert Golden Gail gegen ihr Schicksal: Als Gail Garnett konnte sich die Mittfünfzigerin per Zauberwort in ihrer kindliches Alter Ego verwandelen, aber seit dem unfreiwilligen Exil klappt das nicht mehr. Vielmehr ist der Geist dieser reifen Frau im Körper einer kleinen Göre gefangen, die raucht, säuft und sich auch sonst nicht sonderlich kindgerecht verhält. Das führt stets zu Ärger mit der lokalen Schule, den Abe, der sich als ihr Großvater ausgibt, immer wieder mit Mühe und Not kittet.

Die Lage scheint also durchaus unüberschaubar, als irgendwo draußen im All, in irgendeiner Dimension, eine von Walky Talkys Sonden doch noch landet und von der NASA der Ursprungsort zurückverfolgt wird. Die Tochter des verschwundenen Black Hammer, Lucy, nimmt Kontakt zum Astronomen Jimmy Robinson auf, der als Doctor Star früher best buddies mit Black Hammer war. Gemeinsam entdeckt man ein Dimensionstor, das vielleicht einen Weg zurück für die verlorenen Helden von Spiral City bedeuten könnte – wenn sie denn wirklich zurückkehren wollen…

Jeff Lemire (u. a. „Descender“, „Animal Man“, „Justice League Dark“) liefert mit „Black Hammer“ (nicht zu verwechseln mit dem Darsteller des Genres, das leicht beschönigend als „Filme für Erwachsene“ bezeichnet wird) eine brillante Superhelden-Geschichte, deren Brillanz darin liegt, dass sie keine Superhelden-Geschichte ist. Die ehemaligen Verteidiger von Star City bieten kaum kaschierte Referenzen auf populäre Ikonen des Comic-Universums: Golden Gail, die von einem alten Zauberer das Geheimwort „Zafram!“ erlernt, wirkt wie eine kleine Schwester von Billy Batson, der als Shazam die Welt rettet; der Patriot und Selfmade-Hero Abraham Slam kommt wie Batman und Captain America in einem daher; den Marsianer Markkon Markken, der von seinem Heimatplaneten verbannt als Gestaltwandler auf der Erde segenreich wirkt, kennen wir natürlich als Martian Manhunter J’onn J’onnz; Colonel Weird verweist auf den intergalaktischen Recken Adam Strange, und die Hexe Madame Dragonfly schaute uns als namenlose Erzählerin in diversen EC-Horror-Comics ins erschreckte Gesicht.

In Spiral City kämpfte man gegen Mad Scientists, Riesenroboter und gottgleiche Wesen, mit denen es die Gerechtigkeitsliga und die Avengers täglich zu tun haben. Lemires Kunststück liegt nun darin, all diese Motive in die Erinnerung der Helden zu verbannen, die sich je nach Gemütslage nach ihrer Zeit zurücksehnen, ihre neue Heimat suchen und vor allem auch ihre finsteren Geheimnisse verbergen. Jedes Heft der hier versammelten Serie legt den Schwerpunkt auf eine einzelne Figur, ihre „Origin“ und ihre Beweggründe, wobei Zeichner Dean Ormston in Cover und Gestaltung jeweils den individuellen Stil der klar erkennbaren Vorbilder nachahmt – so etwa wirkt vor allem das Kapitel um die finsteren Abgründe der Lady Dragonfly wie ein Horror-Parforce-Ritt aus dem alten EC-Verlag, komplett mit Erzählerin, die uns das Geschehen dräuend nahebringt, finsteren Prophezeiungen und sogar einer Art Swamp Thing.

Strukturell (einzelne Hefte für einzelne Charaktere) somit ähnlich gebaut wie die Urmutter aller Meta-Helden-Sagas, Alan Moores „Watchmen“, verfolgt „Black Hammer“ zumindest dieselbe Grundidee: Die große Zeit der Helden ist vorbei, wehmütig-deprimiert blicken sie zurück auf alte Taten. Aber anders als in der Welt der Minutemen und Watchmen geht es nicht um eine Dekonstruktion des Heldenmythos an sich, sondern um eine liebevolle Hommage an ein ganzes Genre, das durch die Innensicht auf die Figuren, die mit ihrem Schicksal – from hero to zero – ganz unterschiedlich umgehen.

Ganz bewusst verpflanzt Lemire seine Helden auf eine Farm, die wirkt wie eine unheimlichere Variante der Heimat des kleinen Clark Kent in Smallville: Schon in „Essex County“ entwickelte Lemire den Stil, der die Abgründigkeit des Landlebens als „Country Gothic“ einfing. Durch einen durchaus unerwarteten Twist am Ende verleiht Lemire der Sache dann noch eine ordentliche Wendung, die einen veritablen Cliffhanger bietet. Im reichhaltigen Anhang erzählt Lemire dann von der langen Entstehung des Projektes, zu dem er schon 2007 erste Ideen entwickelte, was durch eine Cover-Galerie und noch durch einzelne Portraits ergänzt wird, in denen ganz im Stile von DCs „Who is Who?“ mittels Lexikon-Einträge die Figuren und sogar ihre fiktiven ersten Auftritte aufgelistet werden. Der vorliegende Band bringt die ersten sechs Ausgaben der Serie, die in Einzelheften und auch schon als Sammelband „Black Hammer Volume 1: Secret Origins“ bei Dark Horse herauskam. Wir hoffen auf mehr!

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.