Coronakrise: Die US-Comicindustrie steht vor dem Stillstand

Foto: Ultra Comix

Das Coronavirus hält die Welt in Atem und hat mittlerweile Einfluss auf Lebensbereiche, die uns vor einigen Wochen sicher nicht in diesem Zusammenhang in den Sinn gekommen wären.

Während hierzulande die COVID-19-Pandemie direkte Auswirkungen auf den Verkauf von Comics und Büchern hat, müssen sich Händler nach kreativen Verkaufsstrategien umschauen, da die zwingend erforderlichen Vorgaben der Landesregierungen ihnen aktuell kaum noch Möglichkeiten bieten, Ware im Laden zu verkaufen.

Doch mit beinahe 50.000 bestätigten infizierten Personen in den USA schweift der Blick so langsam auch besorgniserregend über den großen Teich, wo schließlich viele der Lizenztitel herkommen, die wir in deutscher Übersetzung hier in den lokalen Shops einkaufen.

Bereits in der vergangenen Woche gab es vereinzelte Meldungen, dass US-Verlage ihre Betriebe runterfahren, ihre Büros sogar kurzfristig schließen würden bzw. angaben, dass mit Verspätungen gerechnet werden müsse, bis Klarheit in die Situation gebracht sei. Verlage wie BOOM! Studios oder IDW sicherten Händlern bereits volles Rückgaberecht für nicht verkaufte Titel zu, um Bestellaussetzungen durch die Shops zu vermeiden. In schwierigen Situation ein oft gebrauchtes Mittel.

Doch mit der gestrigen Meldung, dass der größte US-Retailer, Diamond Comic Distributors, vorerst keine neuen Comics von Verlagen für den Vertrieb aufnehmen würde, schlich sich eine regelrecht schwerwiegende Ernsthaftigkeit in das ohnehin schon besorgniserregende Thema. Wie Diamond angab, wird es nach dieser Woche keine neuen Comics über den weltweit agieren Distributor geben, was bedeutet, die Verlage bleiben vorerst auf ihren neuproduzierten Titeln sitzen. Steve Geppi, Kopf der Firma, äußerte sich zu den Umständen in einem umfangreichen Statement. Comics, Bücher, Magazine, Spielzeuge und andere von Diamond vertriebene Produkte, die bereits vorrätig seien bzw. an sie ausgeliefert wurden, werden wie gewohnt in die Shops geschickt. Es gehe lediglich um künftige Verlagslieferungen.

Diamond Comic Distributors fungiert für den US-Markt als exklusiver Vertrieb für Verlage wie Marvel, DC Comics, Image Comics, Dark Horse Comics, Dynamite Entertainment oder auch BOOM! Studios. Wie weitreichend diese Maßnahme daher ist, dürfte leicht verständlich sein: In den kommenden Wochen bekommen Shops keine neuen Comics. Nach aktuellem Stand greift der potentielle Stillstand nur für den Print-Markt, also die gedruckten Comics. Digitale Plattformen wie ComiXology sind vorerst nicht betroffen.

Zudem hat das kanadische Unternehmen Transcontinental Printing, welches u. a. einen Großteil der DC-Titel druckt, nun ebenfalls angekündigt, für mindestens drei Wochen die Tore zu schließen, was erhebliche Auswirkungen auf die Geschäfte des Verlages aus Burbank, Kalifornien haben dürfte, da schlicht keine DC Comics mehr gedruckt werden.

Die Industrie drückt die Pause-Taste und zieht sich zurück. Durch vergleichbar umfangreiche Shop-Schließungen wie hier in Deutschland und Europa im Allgemeinen fahren die Händler bereits erhebliche Verluste ein. Doch was die Brachlandschaft der kommenden Wochen für die Verlage selbst bedeutet, ist aktuell kaum noch abzuschätzen.

Große Player wie Marvel oder auch DC Comics werden als Teilbereiche ihrer großen Mutterkonzerne wie Disney oder auch Warner Bros. eine solche Krise vermutlich deutlich unbeschadeter wegstecken als Indie-Verlage wie IDW oder auch Dark Horse Comics, für die die nächsten Wochen womöglich existentielle Fragen aufwerfen dürften. Nicht zu vergessen, was Künstler*innen aufgrund potentieller Auftragsrückgänge und Honorareinbußen zu erwarten haben.

Hier in Deutschland ringen aktuell Verlage, Vertriebe und Shops mit den vorgegeben Schutzmaßnahmen in Form der Ladenschließungen. In erster Linie heißt dies erst einmal potentielle Absatzeinbußen. Erhebliche sogar.

Je nachdem wie lange der Stillstand auch in den USA währt, wird dies auch Einfluss auf künftige Veröffentlichungsrhythmen bei Verlagen wie Panini Comics, Cross Cult oder auch Splitter haben, deren Portfolios sich bekanntermaßen aus einem nicht unerheblichen Teil an Lizenztiteln speisen.

Die Coronakrise trifft die Comicindustrie auf der gesamten Welt. Von den Künstler*innen, über die Verlage, Vertriebe und den Menschen hinter den Ladentheken. Mit wie viel Schaden alle Beteiligten letztendlich aus der Situation hervorgehen, wird sich jedoch erst zeigen. Ich wünsche an dieser Stelle jedoch allen gutes Gelingen und sage euch, lieben Leser*innen, kauft Comics für die Zeit daheim und als Support eurer liebsten Shops, Verlage und Künstler*innen.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf: bizzaroworldcomics.de

Emanuel Brauer ist Betreiber des Comic-Blogs bizzaroworldcomics.de, Autor für das Comic-Fachmagazin Comixene sowie auch für Comic.de.