Der Comicautor Héctor Oesterheld wurde von der argentinischen Militärjunta gefoltert und ermordet. Seine Science-Fiction-Comic-Figur Eternauta wurde zum linken Sinnbild des Aufbegehrens.
Die Science-Fiction-Comic-Figur „Eternauta“ war in Deutschland bislang praktisch unbekannt. Es gab keine Übersetzung. In Argentinien, wo „El Eternauta“ zwischen 1957 und 1959 erstmals im Magazin Hora Cero als Serie erschien, wurde sie in den 70er Jahren zum Sinnbild des Aufbegehrens gegen die Militärjunta. Das hat auch mit der Biografie ihres Autors Héctor Oesterheld zu tun. Dieser schloss sich der linksperonistischen Stadtguerilla Montoneros an, ebenso seine vier Töchter. Sie alle wurden gefoltert und ermordet, man ließ sie 1977 „verschwinden“, ein Jahr nach dem stillen Militärputsch, dem bis 1983 über 30.000 Menschen zum Opfer fielen. So verschmolzen Leben und Werk des ungemein produktiven Oesterheld in der kollektiven Erinnerung zu einer Einheit, sein dystopischer Science-Fiction-Comic „Eternauta“ wurde zur Gesellschaftsparabel.

Héctor G. Oesterheld (Autor), Francisco Solano López (Zeichner): „Eternauta“.
Aus dem argentinischen Spanisch von Claudia Wente. Avant-Verlag, Berlin 2016. 392 Seiten. 39,95 Euro
Das grundlegende Setting gehorcht den Gesetzen der Invasionserzählung: Mitten in Buenos Aires und vermutlich auch im Rest des Landes fällt Schnee, als Naturereignis in diesen Breitengraden bereits ungewöhnlich genug. Aber dieser Schnee ist überdies tödlich, wer mit ihm in Berührung kommt, stirbt auf der Stelle. Und dies ist nur der Auftakt eines globalen Vernichtungskrieges außerirdischer Invasoren, die bloß „Sie“ genannt werden. Eine Gruppe von Freunden, die sich eigentlich zum Würfelspiel getroffen hatten, erkundet das Ausmaß der Katastrophe. In selbstgemachten Anzügen durchstreifen sie die Stadtgebiete, fließen vor Überlebenden, die dem Wahnsinn verfallen sind, und kämpfen schließlich mit verbliebenen Soldaten gegen käferähnliche Wesen, umprogrammierte Robotermenschen und tonnenschwere Vierbeiner.
Amerikanische SF-Paranoia-Erzählungen der 50er als Angst vor kommunistischer Infiltration zu deuten, ist längst Rezeptionsallgemeingut. Dem 1953 entstandenen Film „Invasion vom Mars“ fällt zur ähnlichen Ausgangslage nicht mehr ein, als im Angesicht der außerirdischen Bedrohung das Hohelied der wehrhaften Armee anzustimmen. Oesterheld und Zeichner Francisco Solano López nutzen das Genre für einen humanistischen Appell: Das Überleben der Gruppe, die aus Angehörigen verschiedener Klassen zusammengesetzt ist, ist an solidarische Zusammenarbeit, nicht an die Tatkraft heldenhafter Einzelgänger gebunden.
Die vermeintlichen außerirdischen Feinde entpuppen sich als technisch fremdgesteuerte Sklaven, deren Tod von Oesterheld und López mit höchstem Mitgefühl inszeniert wird. Die Erzählung vom drohenden Weltuntergang findet an realen Schauplätzen in Buenos Aires, ganz nah am Alltag der Leser*inenn statt.
Ein umfangreicher Textapparat – eine Reportage der Journalistin Anna Kemper zu Oesterhelds tragischer Geschichte, ein Vorwort des Verleger Johann Ulrich sowie ein Aufsatz zur Rezeption des „Eternauta“ – sorgt für eine angemessene Kontextualisierung. Flankiert wurde die Buchveröffentlichung zudem noch von einer Ausstellung im Literaturhaus Stuttgart, die den „Mythos Eternauta“ im Kontext der argentinischen Militärdiktatur zu vermitteln suchte. Mehr Klassikerpflege kann man sich wirklich nicht wünschen.
Diese Kritik erschien zuerst am 17.03.2016 in: Junge Welt, Literaturbeilage Leipziger Buchmesse
Hier gibt es eine weitere Kritik zu „Eternauta“.
Sven Jachmann schreibt als freier Autor über Comic, Film und Literatur, ist Herausgeber und Chefredakteur der Magazine Comic.de und Filmgazette.de sowie Redakteur beim Splitter Verlag. Seit 2006 Beiträge u. a. in Konkret, Tagesspiegel, ND, Taz, Jungle World, Titanic, diezukunft.de, Testcard, kino-zeit.de, Das Viertel und vielen dahingeschiedenen Magazinen. Essays für zahlreiche Comic-Editionen und DVD-Mediabooks.