Marvel mal anders – „Hawkeye Megaband“

Nur wenige Marvel/Superhelden-Serien wurden in den letzten Jahren so sehr gelobt und gehypt wie „Hawkeye“ von Autor Matt Fraction und hervorragenden Zeichnern und Storytellern wie David Aja, Javier Pulido oder Annie Wu. Gemeinsam zeigen sie, was Hawkeye Clint Barton für Kämpfe ausfechtet und in was für Fettnäpfchen er tritt, wenn er nicht gerade mit den Avengers den Kosmos rettet. Doch auch Kate Bishop, die als Junge Rächerin ebenfalls den Namen Hawkeye trägt und ganz gut mit Pfeil und Bogen umgehen kann, ist mit von der Partie, genauso wie Clints ehemalige Herzensdamen und sein neuer vierbeiniger Freund Lucky alias Pizzadog. Während Kate im gerade erschienenen, abschließenden zweiten Megaband bei Panini ein hollywoodreifes Noir-Abenteuer in L. A. erlebt, kommt es in Brooklyn zum Showdown zwischen Clint und der Russenmafia, die sich mit tödlichen Folgen um ein Mietshaus streiten …

„Hawkeye Megaband“ ist letztlich mehr Noir-Krimi als Superhelden-Action – und so vieles dazwischen, darüber und daneben. Die Kreativen sind stets auf erzählerische Innovation bedacht und wollen zeigen, was man auch mit einem Superhelden und Blockbuster-Film-Avenger machen, wie weit man die Grenzen des Genres angehen kann. Chris Ware scheint manchmal nur um die nächste Ecke zu lauern, und den würde man sonst nicht leichtfertig (eigentlich überhaupt nicht) als Vergleich für Superhelden-Comics heranziehen. Im aktuellen Megaband wartet sogar eine Episode, die statt Text Piktogramme in Gebärdensprache nutzt, um einen Gehörverlust zu verdeutlichen. Das ‚sagt’ alles über den Anspruch von Fraction und seinen Mitstreitern.

Es ist extrem unbefriedigend, über diese Ausnahmeserie von Fraction, Aja und Co. zu schreiben. Denn selbst wenn man am laufenden Band schwärmt, hat man das Gefühl, am Ende doch nur an der Oberfläche gekratzt und längst noch nicht die ganze Bandbreite und die wahre Essenz eingefangen zu haben – oder ausreichend vermittelt, wiese man so schwärmt und diese Serie so sehr liebt bzw. wieso alle dermaßen schwärmen und diese Serie dermaßen lieben. Wieso es in den USA den Harvey und den Eisner Award gab und die Leser im englischen Original monatelang auf die eine oder andere Ausgabe warteten, obwohl diese dann vorerst den ‚falschen’ Handlungsstrang fortsetzte oder ein Füller war. Weshalb diese Serie so mutig, grandios, umwerfend und – kurzum – ein echter Volltreffer des grafischen Erzählens ist. Ein Comic nicht allein für Superhelden-Fans, sondern für alle, die gute Panel-Geschichten mögen. Und vielleicht sogar ganz besonders für Superhelden-Hasser.

Matt Fraction, David Aja, Annie Wu: Hawkeye Megaband 2. Panini, Stuttgart 2015. 276 Seiten, € 28,-