„Inspektor Bayard“ – Der Leser kombiniert mit

Sein Timing scheint immer goldrichtig zu sein: überall, wo Inspektor Bayard auftaucht, geschah gerade ein Verbrechen. Oder besser: eine Gaunerei. Ob im Zoo, dem kurzfristig der Panther abhanden kommt, beim Juwelier, der gerade um eine Uhr erleichtert wurde oder im Museum, wo einer historischen Uniform plötzlich ein wertvolles Teil fehlt. Der Inspektor ist immer zufällig in der Nähe oder kurz nach der Tat zur Stelle, um den Fall zu lösen. Der kann sich auch mal um seinen eigenen Wagen drehen (ein historischer Jaguar D-Type), der für eine Spritzfahrt entwendet wurde, um eine seltsame Hai-Sichtung an einem Ferienstrand oder um eine berühmte Sängerin, die von jetzt auf gleich spurlos verschwunden ist.

inspektor-bayard-cvrUnd jetzt, lieber Leser, ist mitmachen angesagt! Und zwar mehrfach. Denn Inspektor Bayards Fälle sind jeweils nur drei Seiten lang. Nach der Tat bleibt stets und sehr schnell ein kleiner Kreis von Verdächtigen übrig, die vom Inspektor kurz befragt werden, ehe dieser fein kombiniert und den Täter aufgrund eines todsicheren Indiz‘ zweifelsfrei überführt. Nur was dieses Indiz, und wer der Täter ist, wird erst einmal nicht verraten. Den Auflösungen zu jedem Fall wird jeweils eine gesonderte Seite gewidmet, die am Ende des jeweiligen Bandes steht. So kommt der Leser nicht gleich in Versuchung zu „spicken“, kann seine eigenen grauen Zellen vom Lesebetrieb auf den Mitmachbetrieb schalten und seine Kombinations- und Beobachtungsgabe unter Beweis stellen. Das ist in der Tat mal was anderes und macht durchaus Laune, auch wenn der Band und die Fälle eher an ein jugendliches Publikum gerichtet sind – es werden ja auch keine Schwerverbrechen begangen, mitunter sogar Bagatell-Fälle, die für den Täter durchaus glimpflich enden. Und so richtig bierernst geht es dabei auch nicht zu.

Den Franzosen Olivier Schwartz, der für die Zeichnungen verantwortlich ist, kennt man hierzulande v.a. durch seine Spirou-Geschichten. Die werden in Carlsens Spezial-Reihe veröffentlicht (bisher zwei Bände), spielen in der „klassischen“ Spirou-Zeit der vierziger Jahre und greifen auch mal ernstere Töne auf. Daneben zeichnete er „Gringos Locos“, eine Reihe, die den USA-Aufenthalt der Comic-Ikonen Jije, Franquin und Morris humorvoll thematisiert. Bei seinem „Inspektor Bayard“ handelt es sich um ein frühes Werk, das ab 1988 in der französischen Jugend-Zeitschrift Astrapi erschien, anfangs wechselnde Autoren hatte und über beachtliche 20 Jahre in ebenso beachtlichen 19 Alben zusammengefasst wurde. Der Auftakt bei Carlsen enthält davon die ersten beiden („Keine Ferien für den Inspektor“ & „Der Inspektor kennt keine Angst“), die jeweils sieben Fälle beinhalten. Später wird Inspektor Bayard, der ohne Sidekick auskommt, auch albumlange Geschichten bestreiten.

Interessant ist Schwartz‘ stilistischer Werdegang, der sich anhand dieses Frühwerks gut festmachen lässt: zu Beginn seiner Karriere legt er seine Zeichnungen im Stil der neuen Ligne Claire an („Atomstil“), eine moderne Weiterentwicklung der klassischen Ligne Claire, die von dem viel zu früh verstorbenen Yves Chaland geprägt wurde (mit dessen Serie „Freddy Lombard“). Dicke, schwungvolle, schnittige Linien und überzogene Darstellungen entwickeln den ursprünglich braven Ligne Claire-Strich weiter. Aber schon im zweiten Album, das dieser Band enthält, wird seine Linienführung filigraner, weniger wild. Und mit seinen Spirou-Geschichten sollte Schwartz dann tatsächlich den ungewöhnlichen Spagat schaffen und in den Dunst- und Stilkreis der École Marcinelle überwechseln, ohne jedoch seine zeichnerischen Wurzeln ganz aufzugeben. Das Dossier am Ende des Bandes enthält zwei unveröffentlichte Fälle und diverse Infos zur Entstehung der Reihe mit Cover-Entwürfen und Skizzen. Band 2 wird im Mai nächsten Jahres erscheinen.

Jean-Claude Cabanau, Dieter, Jean-Louis Fonteneau, Olivier Schwartz: Inspektor Bayard 1. Carlsen Verlag , Hamburg 2016. 96 Seiten, 12,99 Euro