„Kopfsachen“ – Psychosen und Alltagshorror mit Lokalkolorit

Acht grafische Erzählungen, acht kleine Vignetten, acht Ausflüge auch in das frühe Schaffen von Uli Oesterle gibt es hier zu bestaunen. Im Hauptbeitrag „Getrennte Wege“ will Hector Umbra eigentlich nur seine Ruhe, aber in einer Bar wird er von einer attraktiven Dame angequatscht. Patrizia kennt Hectors übernatürliche Begabungen und sucht seine Hilfe: Sie ist schizophren, genauer gesagt zu fünft, das klappt ganz gut, aber eines ihrer Alter Egos macht Ärger. Ein pubertierender, hässlicher Internet-Troll ist das, der auch gleich seine Aufwartung macht. Hector lässt sich belatschern, kippt die obligatorische Flasche Magenbitter und eilt Patrizia zu Hilfe. Zumindest meint er das, denn die Sache ist natürlich deutlich anders als sie ihm verkauft wurde…

„Forever“: Ein unangenehmer Typ lässt sich eine Tätowierung stechen und fährt als Dank den Künstler mit dem Auto über den Haufen. Der lässt sich das nicht bieten, sondern schwört Rache, die den Unhold wie weiland den Illustrierten Mann von Ray Bradbury in Form der Körperverzierung ereilt. „Schläfenlappen Fantasien“: In fünf kurzen Erzählungen ergründen wir die dunkle Psyche eines in der Heilanstalt inhaftierten Mörders, wir begleiten den um seine verflossene Freundin trauernden Tiberius, der in einer Bar Trost bei Tom Waits in persona findet, rätseln um die dubiose Historie eines Bettlers und erfahren, wie es sich anfühlt, von seiner Umwelt vollständig ignoriert zu werden und wie einen eine Psychose komplett überfallen kann.

In dieser Sammlung teilweise sehr früher (die „Schläfenlappen Fantasien“ erschienen erstmals bereits 1999 und sind für die vorliegende Neuausgabe koloriert worden, „Forever“ stammt aus dem 2003 veröffentlichten „Dark Horse Book of Hauntings“) und aktueller Werke (die neue Hector-Umbra-Story) zeigt sich die Entwicklung des Münchner Lokalmatadors Uli Oesterle sehr augenfällig. Von den groben, holzschnittartigen, fast expressionistischen Zügen der Anfangstage („Die süßen Erinnerungen des Otto Mallorca“, „Kopfschmerzen“) bildet sich langsam aber stetig der leicht stilisierte, dabei aber sehr detailreiche Duktus heraus, der Oesterles Opus Magnus „Hector Umbra“ prägt, wobei von Anfang an der häufig eingestreute Münchner Lokalkolorit in realen Schauplätzen zum Einsatz kommt.

Durchgängig auch die Thematik der Besessenheit, Psychosen und geistigen Abgründe, die auch sein nicht umsonst „Umbra“, Schatten, genannter Protagonist durchwatet (das Motiv der als Unsichtbarkeit empfundenen Missachtung durch die Umwelt behandelte im Übrigen schon Ralph Ellison in seinem sozialkritischen Roman „Invisible Man“ Mitte der 50er Jahre). Ein kompaktes, interessantes Lebenszeichen, das sieben für lange Zeit nicht erhältliche Gruselgeschichten wieder zugänglich macht, allen Hector-Fans neues Futter liefert und somit die Zeit bis zum Erscheinen des neuesten Projektes „Vatermilch“ (für 2018 geplant und schon mit dem Comicbuchpreis der Berthold Leibing Stiftung ausgezeichnet) überbrückt. Oesterle widmet den Band seinem Freund und Wegbegleiter Christian Moser, dem Vater der „Monster des Alltags“, der 2013 viel zu früh verstarb.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Uli Oesterle (Text & Zeichnungen): Kopfsachen. Carlsen, Hamburg 2017. 176 Seiten. 16,99 Euro