Es ist eine ungewöhnliche Ausgangsposition: Der Held der Geschichte sitzt in einer Nervenheilanstalt. Zwei Pfleger, die ihn offenbar nicht mögen, stellen ihn ruhig, verhöhnen ihn, misshandeln ihn sogar. Die Ärztin sagt ihm, er sei in der Anstalt, seit er zwölf Jahre alt sei. Doch er glaubt, er sei ein Superheld. Er hält sich für Moon Knight, einen Kämpfer für die Schwachen dieser Welt.
So beginnt die aktuelle Neuauflage der Superheldenserie „Moon Knight“. Von der wusste ich bislang nicht viel – Interesse an diesem Comic weckte der Name des Schriftstellers, der für die Texte verantwortlich ist. Jeff Lemire ist derzeit einer der Comic-Autoren, deren Geschichten mich immer wieder begeistern; vor allem seine Science-Fiction-Serie „Descender“ finde ich großartig. Mit „Moon Knight“ begibt er sich erneut in das Superhelden-Genre. Er greift eine Figur auf, die es seit 1975 gibt, die aber im deutschen Sprachraum nie sonderlich bekannt geworden ist. Das hat für Leser wie mich einen riesigen Vorteil: Wer sich auf „Willkommen im neuen Ägypten“ einlässt, braucht keinerlei Vorkenntnisse zu alten Geschichten dieser Figur, verwirrt ist er allerdings trotzdem.

Jeff Lemire (Text), Greg Smallwood (Zeichnungen): „Moon Knight Bd. 1“.
Panini, Stuttgart 2017. 132 Seiten. 16,99 Euro
Jeff Lemire spielt mit den Wahnvorstellungen, zeigt immer wieder klare Sequenzen von Realität, verwirrt den Leser dadurch ziemlich und schafft so eine Geschichte, deren Sog mich packte. Für mich als Leser war klar, dass der Mann in der Anstalt in Wirklichkeit der geheimnisvolle Moon Knight ist, ein Superheld, den irgendwelche Bösewichte auf diese Weise aus dem Verkehr ziehen wollen. Und ich wollte während der Lektüre vor allem wissen, wie der Autor es schafft, seinem Helden einen Weg aus der Misere zu weisen.
Greg Smallwood ist für die künstlerische Gestaltung zuständig, das macht er sehr variantenreich. Manchmal gibt es superheldenmäßige Action, meist aber wirken seine Bilder wie eine Mixtur aus Fantasy und Horror. Je nach Zustand des Helden, verändern sich die Bilder, wirken mal bitter ernst, dann wieder skurril, fast witzig. Das ist originell, sieht kaum wie bei üblichen Superhelden-Comics aus und ist vor allem für solche Leser spannend, die ungewöhnliche Blickwinkel mögen.
„Moon Knight“ ist kein konventioneller Superheld, kein weiterer kostümierter Kerl, der sich durch die Straßenschluchten von Metropolis, Gotham oder New York schlägt. Es geht um Wahn und Wirklichkeit, um Realität und Illusion – und das ist klasse gemacht.
Dieser Text erschien zuerst auf: perry-rhodan.net
Klaus N. Frick ist Chefredakteur der Science-Fiction-Heftroman-Serie „Perry Rhodan“ sowie Autor zahlreicher Romane und Kurzgeschichten.