Hinter der unscheinbaren Bezeichnung „Kompaktausgabe“ verbirgt sich eine der am sorgfältigsten eingerichteten Gesamtausgaben, die zurzeit den hiesigen Comicmarkt fluten. Denn hier sind nicht nur alle Schlumpf-Geschichten Peyos chronologisch abgedruckt, auch die Menge des Zusatzmaterials, das im Sekundär-Part neben zahlreichen zeitgenössischen Abbildungen und Fotos auch die Geschichte des Studios Peyo schildert, sprengt mit über 60 Seiten in seiner Ausführlichkeit den üblichen Rahmen. Die hier enthaltenen Geschichten sind von ganz unterschiedlicher Länge und stammen aus dem Jahren 1967 bis Anfang 1970. Eine sehr produktive Zeit für Peyo. Seine Schlümpfe haben sich längst etabliert, sind eine feste Größe im „Spirou“-Magazin und spülen auch werbetechnisch Geld in die Kasse. Seine Arbeit kann Peyo längst nicht mehr alleine stemmen. So schart er, wie das beispielsweise auch Hergé tat, diverse talentierte Assistenten um sich, von denen der bekannteste Francois Walthéry sein dürfte, der später mit den Abenteuern seiner Stewardess „Natascha“ einen eigenen Erfolg verbuchen wird (eine Gesamtausgabe derscheint bei Salleck). Erstaunlich, dass Peyo fast ganze Alben in die Hände seiner Assistenten gab – bisweilen steuerte er lediglich die Layouts und den Story-Entwurf bei.

Peyo, Gos, Francois Walthéry, Michel Matagne (Text und Zeichnungen): „Die Schlümpfe Kompaktausgabe, Band 2“.
Aus dem Französischen von Max Murmel.
Toonfish, Bielefeld 2017. 272 Seiten. 39,95 Euro
Nach zwei Kurzgeschichten („Schlumpfige Ostern“ & „Schlumpffallen“, letztere wieder mit Gargamel) kommen wir zu einer albumlangen Episode (40 Seiten): „Die Schlümpfe und der Monstervogel“ erschien 1968 im „Spirou“-Magazin und schon zwei Jahre später in „Fix und Foxi“. Eigentlich wollte Papa Schlumpf nur ein Düngemittel für das beliebte Sarsaparille mixen. Heraus kommt jedoch ein Stoff, der die eigentlich harmlose und schmackhafte Pflanze zu einem Monstergewächs werden lässt, das Audrey aus dem kleinen Horrorladen zur Ehre gereicht. Und als ein Vogel zufällig einen Tropfen schluckt, mutiert auch dieser zum aggressiven Monsterviech, das fortan die Schlümpfe terrorisiert. Der Krakakass – Name und Design des Vogels stammen übrigens von André Franquin – legt sogar das ganze Schlumpf-Dorf in Schutt und Asche. Man flüchtet in einen alten Wehrturm, um dort die Verteidigung gegen den aggressiven Vogel vorzubereiten. Ausnahmsweise hilft hier Gargamel mal den Schlümpfen, wenn auch unbeabsichtigt bzw. auf passive Art und Weise. Es folgt der 18-Seiter „Kein Schlumpf wie die anderen“: Ein Schlumpf zieht es in die Ferne. Mit einer Zauberpfeife von Papa Schlumpf kann er sich aber jederzeit zurück in die Heimat schlumpfen. Klar, dass Gargamel sich den kleinen Kerl schnappt und sich selbst per Pfeife nach Schlumpfhausen „beamt“…
Nun folgt mit „Der Astronautenschlumpf“ die nächste albumlange Story, die eine Besonderheit innerhalb der Serie darstellt. Denn der Band erschien ursprünglich 1967 als Werbealbum für einen Kekshersteller. In Rekordzeit entstanden (gänzlich von Gos und Walthéry gezeichnet) bot sich hier für den geschäftigen Peyo die Gelegenheit, eine Geschichte zweimal zu Geld zu machen: einmal durch die Werbeausgabe (in dem Album versteckt sich auch ein Keks – viel Spaß beim Suchen!) und einmal durch den Abdruck im „Spirou“-Magazin, der zwei Jahre später erfolgte. Einer der Schlümpfe will unbedingt ins All reisen, auf einen anderen Planeten. Sein Vorhaben setzt er aber recht dilettantisch um und scheitert folglich. Aus Mitleid greifen seine Kollegen unter Führung von Papa Schlumpf zu einem Trick: Nach dem zweiten Startversuch gaukeln sie dem Weltraumschlumpf nicht nur in einem Vulkankrater einen fernen Planeten vor, sie präsentieren sich ihm auch als die dortigen Bewohner die „Schlimpse“. Ob die Geschichte Verschwörungstheoretiker in aller Welt auf die Idee brachte, Stanley Kubrick hätte die fingierte Mondlandung inszeniert, ist nicht überliefert. „Die Schlümpfe und die Wettermaschine“, eine 18-seitige Kurzgeschichte, deren Veröffentlichung ins Jahr 1970 hineinreicht, beendet den Band.
Die Geschichten, die übrigens durchweg Anfang der Siebziger Jahre im „Fix und Foxi“-Heft ihre deutsche Erstveröffentlichung erfuhren, sind rund, schlüssig erzählt und jeweils wie aus einem Guss. Sie weisen denselben Charme, dieselbe Sorgfalt auf, ohne je langweilig zu wirken. Man merkt, dass Peyos Assistenten erfolgreich „auf Linie“ gebracht sind, das Wesen der Serie verinnerlicht haben und gemeinsam an einem Strang ziehen, auch wenn, „Chef“ Peyo lediglich Entwürfe und Seitenaufteilung beisteuert (wie beim Astronautenschlumpf). Die Geschichte der Mitarbeiter und damit des Studios ist dann auch das zentrale Thema des Sekundärparts (wir erfahren beispielweise, dass Gos – der später Kosmi zeichnete – das Studio verließ, weil er als Miturheber genannt werden wollte), der vom belgischen Film- und Comic-Journalisten Hugues Dayez kompetent verfasst wurde. Diverse Dreingaben reichen den Sekundär-Part zusätzlich an: Die beiden existierenden Versionen der Kurzgeschichte „Schlumpfige Ostern“ werden gegenübergestellt und auf sechs Doppelseiten sind einige „Geschichten von Papa Schlumpf“ übersetzt und abgedruckt. Viel Material für Schlümpfe-Fans und Liebhaber klassischer belgischer Comic-(Schlumpf-)Kultur.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.