Traumabekämpfung – „Die Adoption Band 2“

Gabriel van Oosterbeek gibt nicht auf. Der störrische Alte, der seine kleine Adoptiv-Enkelin Qinaya nach anfänglicher Ablehnung ins Herz schloss, kann nicht akzeptieren, dass alles so einfach vorbei sein soll. Sein Sohn sitzt mittlerweile im Knast – die Adoption des Mädchens aus Peru ging bekanntlich nicht mit rechten Dingen zu -, seine Schwiegertochter hat die Scheidung eingereicht, seine Frau vegetiert, ruhiggestellt mit Antidepressiva, vor sich hin. Da liefert ein zwielichtiger Privatdetektiv einen Hinweis auf den Verbleib der kleinen Qinaya, und prompt reist der Alte, der noch nie von zu Hause weggekommen ist, trotzig nach Lima, um dort die Spur aufzunehmen. Dort findet er tatsächlich das kleine Mädchen vor, das zusammen mit seiner Mutter auf der Flucht aus dem vom Erdbeben zerstörten Arequipa bei seinen echten Großeltern untergekommen ist.

Zidrou (Text), Arno Monin (Zeichnungen): „Die Adoption Band 2: La Garúa“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter, Bielefeld 2018. 72 Seiten. 16,80 Euro

Die Aufnahme erfolgt freundlich, aber Gabriel muss erkennen, dass Qinaya die Zeit in Frankreich verdrängt hat: wieder zu Hause, erinnert sie sich kaum an den netten alten Mann. Gabriel macht sich daran, sofort abzureisen, aber in der Nebensaison gibt es kaum Flüge zurück nach Paris. In seiner Pension trifft er auf Marc Legendre, einen Belgier, der auf der Suche nach den sterblichen Überresten seiner Tochter ist, die in Arequipa zu Tode kam und nach wie vor nicht identifiziert werden konnte. Legendre bietet dem Alten sein Flugticket an – aber Gabriel überlegt es sich überraschend anders: Anstatt nach Hause zu fliegen, geht er mit Legendre auf eine Entdeckungsreise durch Peru, von den Nazca-Linien, die nur aus der Luft zu entdecken sind, über den Machu Picchu bis nach Arequipa, wo nicht nur Legendre, sondern auch er selbst endlich seinen Frieden machen kann…

Im zweiten und abschließenden Teil dieser Mini-Serie überrascht uns Autor Zidrou („Die neuen Fälle des Rick Master“) mit einem echten Coup: Es geht gar nicht mehr um die Geschichte der Adoption der kleinen Qinaya. Was in Teil 1 noch handlungsbestimmend war, liefert jetzt nur noch den Anstoß zu einer Entdeckungsreise – mitten in die eigene Persönlichkeit. Gabriel fand ja schon in Teil 1 dank der kleinen Peruanerin seine Lebensfreude und die Liebe zu seiner Frau zurück – und nun geht es um nicht weniger als seine Kinder, um die es zu kämpfen gilt. Zu seinem Sohn hat er aus bitterer Enttäuschung über dessen Taten jeden Kontakt abgebrochen, nicht ein einziges Mal hat er ihn im Gefängnis besucht, und innerlich trauert er über den Verlust seiner Frau, die die Ereignisse in eine abgrundtiefe Depression gestürzt haben.

Beim Überflug der Nazca-Linien, bei der Konfrontation mit der Zerstörung der weißen Stadt Arequipa und angesichts Legendres Trauer muss sich Gabriel der bangen Frage stellen: War ich ein guter Vater? Legendre antwortet ihm eindringlich und positiv: Jeder Vater, der seinen Kindern eine Gurke auf die selbst gemachte Pastete gelegt hat, hat alles richtig gemacht. Tief bewegt durchläuft Gabriel so einen Selbstfindungsprozess, bei dem die Reise nur ein Symbol für den inneren Prozess ist – so hübsch der Lokalkolorit auch sein mag, auf dem Weg von Cusco zum Titicaca-See. Bezeichnend dabei: Der oft beschworene Machu Picchu ist nur aus der Ferne zu erkennen – viel wichtiger ist, dass Gabriel sich selbst findet, was in der Überwindung des Garúa, des sprichwörtlichen Dunstes, versinnbildlicht ist, der Lima umschließt. Eine wunderbare, stille Erzählung – und ein Lobgesang darauf, dass es nie zu spät ist, bei der Familie zu sein. Wunderbar gefühlvoll inszeniert von Arno Monin und somit ein würdiger Abschluss.

Dieser Text erschienen zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.