Gemobbte Vampire und tierische Kommissare

Ob zum Geburtstag oder vor Weihnachten, irgendwann stellt sich die eine Frage: Was soll man dem Nachwuchs bloß schenken? Es folgt eine kleine Zusammenstellung empfehlenswerter Comics für junge Leser*innen zwischen 6 und 10 Jahren.

Giovanni di Gregorio (Autor), Alessandro Barbucci (Zeichner) – „Der Club der drei Schwestern 1. Sarahs Traum“.
Aus dem Franfössichen von Jano Rohleder. Splitter Verlag, 2020. 72 Seiten. 14,95 Euro. Empfohlen ab 6 Jahren

Kleine Qualle

Sarah, Kassiopeia und Lucille sind drei aufgeweckte und neugierige Mädchen. Als Schwestern jedoch könnten sie unterschiedlicher nicht sein. Während Sarah als Älteste gern die Richtung vorgibt, widmet sich Kassiopeia den wirklich wichtigen Mädchendingen und findet Lucille als Jüngste ihre Erfüllung im Aufpäppeln streunender Katzen. Und überhaupt: Tiere sind eh die besseren Menschen, vor allem dann, wenn die großen Schwestern das gemeinsame Ziel aus den Augen verlieren. Eigentlich wollten sie klären, was es mit Sarahs Träumen von Quallen auf sich hat. Doch schnell wird klar, dass ihre Mutter etwas verheimlicht, aber was? In der neuen Comicreihe von Szenarist Giovanni di Gregorio („Creepy Past“, dani books) und Zeichner Alessandro Barbucci („Ekhö“, Splitter, „Monster Allergy“, dani books) geht es um Geheimnisse, Wünsche und eben der Magie des Alltags. Damit ist „Der Club der drei Schwestern“ auf dem besten Weg in die Fußstapfen von „Crissis Tagebücher“ (Popcom) zu treten. Barbuccis unvergleichlicher Stil und die hellen, freundlichen Farben verleihen der Geschichte ein märchenhaftes Flair und laden zum Träumen über exotische Bäume, vergrabene Familiengeheimnisse und leuchtende Quallen ein. Kürzlich ist der zweite Band erschienen.

Ferdinand Lutz – „Q-R-T. Nächste Stunde Außerirdisch!“.
Reprodukt, 2020. 88 Seiten. 14 Euro. Empfohlen ab 6 Jahren

Lustig ist das Schülerleben

Wer hätte gedacht, dass der Schulbesuch eine Freundschaft auf die Probe stellen kann? Genau das passiert dem Außerirdischen Q-R-T und dem Menschenmädchen Lara. Sie hat die Chance, auf eine Schule zu wechseln, die ihr die Teilnahme an Wettbewerben für Nachwuchsforscher ermöglicht. Dumm nur, dass sie dann nicht mehr die Zeit haben wird, mit Q-R-T den absurden Menschenalltag zu beobachten. Ob er nicht Lust hätte, mit ihr zur Schule zu gehen? Selbstverständlich lässt sich der Außerirdische dann doch dazu überreden, den Unterricht zu besuchen. Wo er und sein Haustier Flummi auftauchen, ist das Chaos schon vorprogrammiert. Wie das aussieht, beleuchtet Ferdinand Lutz im neuesten Sammelband seiner seit 2011 monatlich im Kindermagazin „Dein SPIEGEL“ erscheinenden Comicserie. Chemie- und Erdkundeunterricht, aber auch Klassenfahrten nehmen gänzlich andere Wendungen, wenn ein kleveres Alien in Jungengestalt seine Meinung und Ideen einbringt. Damit sorgt er nicht nur für jede Menge Erheiterung bei Mitschülern (und Mitlesern), sondern bewahrt auch einen Lehrer vor seiner Entlassung. Somit bleibt auch der dritte Sammelband ein Feuerwerk an witzigen, kindgerechten Einfällen, die die Welt der Erwachsenen mehr als einmal auf die Schippe nimmt. Einfach toll!

Tor Freeman – „Willkommen in Oddleigh“.
Aus dem Englischen von Matthias Wieland. Reprodukt, 2020. 64 Seiten. 18 Euro. Empfohlen ab 7 Jahren

Tierische Kommissare

Zur Abwechslung mal ein Comic, der die Großen mehr begeistern dürfte als die Kleinen. Denn Tor Freemans Kindercomicdebüt „Willkommen in Oddleigh“ steckt voller literarischer und popkultureller Anspielungen, von Sherlock Holmes bis Thomas Hardy. Oddleigh ist eine dieser beschaulichen britischen Küstenstädte, die voller Geheimnisse und Skurrilitäten steckt und von anthropomorphisierten Tieren bewohnt wird. Hier ermitteln Chief Inspectorin Jessie und Sergeant Sid. Unheimliche Flüche? Verschwundene Anführer einer Raupensekte? Plötzlich lebendige Dinosaurier? Alles kein Problem für das Duo. Wie die beiden ihre Fälle lösen, ist nicht nur schön anzusehen, sondern auch sehr amüsant – aber hier und da nicht immer ganz kindgerecht. Freemans Geschichten sind eben very british und dürften vorlesende Eltern vor die ein oder andere Frage der Kleinen stellen. Wer sich darauf einlässt, wird bestens unterhalten – und zur Not lässt man den Comic ein wenig im Regal reifen, bis die Kinder die Geschichten zu würdigen wissen.

Drew Weing – „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“.
Aus dem Englischen von Matthias Wieland. Reprodukt, 2020. 72 Seiten. 18 Euro. Empfohlen ab 8 Jahren

Geheimnisvolle Vermittlerin

Umzüge können richtig doof sein. Vor allem dann, wenn die Freunde nicht mit umziehen und es vom Land in die Stadt geht. Genauso ergeht es Charles. Weil sein Vater den Auftrag erhalten hat, in Echo City ein altes Hotel umzubauen, wohnt die Familie nun genau dort. Und das Gemäuer ist so heruntergekommen, wie man es sich nur vorstellen kann. In der ersten Nacht bekommt Charles dann auch ungebetenen Besuch von einem Monster. Oder hat er sich das alles nur eingebildet? Nachbarsjunge Kevin weiß Rat: Einfach Margo Maloo anrufen, die löst das Problem schon. Für Hobbyjournalist Charles ist das der Auftakt zu monströsen Abenteuern. 2010 debütierte Comiczeichner Drew Weing mit seiner schwarzweißen Graphic Novel „Set to Sea“. Deutlich farbenfroher, wenn auch nicht knallig bunt, geht es in seinem Webcomic „The Creepy Case Files of Margo Maloo“ zu. Während auf Englisch bereits drei Bände der gesammelten – und teilweise exklusiv für die Buchversion geschriebenen – Geschichten erhältlich sind, hat Reprodukt im Oktober 2020 den ersten Band veröffentlicht, dem im Mai der zweite folgte. Anders als das querformatige Original, erscheinen sie hierzulande jedoch im klassischen Hochformat. Doch die Form ist Nebensache, was zählt ist der Inhalt – und der ist erstklassig: „Die geheimnisvollen Akten von Margo Maloo“ sind ein herrlich schräger Gruselspaß voller sammelwütiger Trolle, einsamer Geister und verschreckter Kobolde. Da freuen sich Monsterfans doch jetzt schon auf mehr schaurig schöne Schreckensgestalten, die den armen Charles zum Fressen gern haben.

Camille Jourdy – „Die Vunderwollen“.
Aus dem Französischen von Annette von der Weppen. Reprodukt, 2020. 160 Seiten. 24 Euro. Empfohlen ab 8 Jahren

Voller Vunder

Noch etwas vahrlich Vunderwolles gefällig? Ja, richtig gelesen, Vunderwolles. Denn hinter dem Namen verbergen sich gar außergewöhnliche Tierchen. Doch dazu gleich mehr. Zunächst verschlägt es ein kleines Mädchen namens Jo in einen dunklen Wald. Es möchte weglaufen von Vater, Stiefmutter und Stiefschwestern. Kaum hat Jo den Zeltplatz verlassen, begegnet sie einem kleinen Königspaar auf ebenso kleinen Pferdchen. Aufgeweckt wie Jo nun einmal ist, folgt sie dem Duo – und findet sich in einem verwunschenen Waldstück voller Fabelwesen wieder. Es ist jedoch nicht alles friedlich hier: Der tyrannische Kaiser Kater hat einige Bewohner entführt und in sein Schloss gebracht. Als die Waldbewohner bewaffnet Richtung Schloss ziehen, verstecken sich Jo und das Katzenkind Nouk im Gepäck. Doch die Befreiungsaktion gerät zum Desaster, und fast alle werden gefangen genommen. Es liegt nun an Jo, dem Fuchs Maurice und dem sechspfotigen Hündchen Pompom, die anderen zu retten. Camille Jourdys „Die Vunderwollen“ ist ein außergewöhnlicher Comic, der hier und da an Kinderbuchklassiker wie „Alice im Wunderland“, „Der Zauberer von Oz“ und „Peter Pan“ erinnert. Ihre Leser*innen tauchen ein in eine Welt, die mal hell und pastellfarben, mal trist und in Grautönen daherkommt. Genauso vielfältig wie die Landschaften sind auch die Bewohner des Waldes: Sprechende Hunde, verlorene Kinder, monströse Wasserratten und gar nicht gehässige Hexen säumen Jos Weg. Die heimlichen Stars der Geschichte sind jedoch die Namensgeber, einfach vunderwolle kleine magische Ponys, die das Mädchen ins Herz geschlossen haben. Der ideale Comic für alle, die sich das Träumen bewahren und von nichts auf der Welt unterkriegen lassen.

Sascha Gallion – „Wildblumen“.
Zwerchfell, 2020. 48 Seiten. 7 Euro. Empfohlen ab 10 Jahren

Grüne Hoffnung

Wie wertvoll und wichtig Pflanzen sind, erörtert Sascha Gallion in seinem ersten Langcomic „Wildblumen“. Dass das 2019 entstandene Aquarellwerk bei seiner Veröffentlichung prophetische Züge annehmen würde, konnte der Familienvater und Betriebsleiter in einem Kletterzentrum damals noch nicht ahnen. „Wildblumen“ porträtiert eine graue Stadt, aus der alles Grün verbannt wurde. Gegen die steigende Luftverschmutzung schützen sich die Bewohner mit Masken. Keine selbstgenähten oder aus der Apotheke, sondern solche, die bei einem Eishockey-Match oder in einem Horrorfilm ganz nützlich wären. Den namenlosen Protagonisten zieht es durch seine Stadt, in der die Anti-Pflanzen-Einheit gerade wild ausgesäte Blumen entfernt. Als der Junge mit einem gleichaltrigen Mädchen zusammenstößt und ein leeres Päckchen Wildblumen findet, macht er sich auf die Suche nach ihr. Gallions Ausflug ist eine Liebeserklärung an (Wild-)Blumen und Natur – und erinnert uns alle daran, warum wir viel sorgsamer mit der Umwelt umgehen sollten. Ein kleiner, feiner Comic, in der das Licht der Hoffnung grün erstrahlt. Wie passend für unsere Zeit.

Carbone (Autorin), Gijé (Zeichner) – „Die magische Spieluhr 1: Willkommen in Pandorient“.
Aus dem Französischen von von Jano Rohleder. Splitter, 2020. 56 Seiten. 14,95 Euro. Empfohlen ab 6 Jahren

Bezauberndes Geschenk

Was ist der schlimmste Geburtstag für ein kleines Kind? Es ist der erste nach dem Tod der Mutter. So einen erlebt gerade Nola. Um seiner Tochter dennoch eine Freude zu machen, schenkt Nolas Vater ihr die Spieluhr ihrer Mutter. Die hat es in sich: Nola entdeckt, dass jemand in der Spieluhr lebt! Das Mädchen im Innern der Kugel erklärt ihr dann auch, wie sie nach Pandorient gelangt. Dort angekommen, ist die Enttäuschung zunächst groß, hatte man doch damit gerechnet, Nolas Mutter zu begrüßen. Doch vielleicht kann auch die Tochter helfen, eine seltsame Krankheit zu heilen. Szeneristin Bénédicte „Carbone“ Carboneill und Zeichner Jérôme „Gijé“ Gillet erschaffen im ersten Band von „Die magische Spieluhr“ eine wunderschöne, magisch verträumte Welt voller skurriler und fantastischer Figuren. Doch das kleine Paradies birgt auch Gefahren, die Nola besser nicht kennenlernen sollte. Oder warum sonst hat ihre Mutter ihr verschwiegen, welche Abenteuer sich im Innern einer Kugel verbergen? „Die magische Spieluhr“ ist ein lesenswertes Comickleinod, das Fans von „Crissis Tagebücher“ (Popcom, Splitter) und „Hilda“ (Reprodukt) gleichermaßen lieben werden. Der vierte Band kam vor wenigen Wochen in den Handel.

Loïc Clément (Autor), Clément Lefèvre (Zeichner) – „Alles klar, Dracula“.
Aus dem Französischen von Anne Thies-Bergen. Toonfish, 2020. 40 Seiten. 12,95 Euro. Empfohlen ab 6 Jahren

Waren Monster mal klein?

Vampire sind furchteinflößend, gemein und monströs. So zumindest das allgemeine Bild von ihnen. Dabei fängt jeder mal klein an, auch ein Blutsauger. „Alles klar, Dracula“ zeigt, warum es der Mann mit den bekanntesten Eckzähnen der Welt in seiner Kindheit alles andere als leicht hatte. In der Schule erlebt Dracula, zu welchen grausamen Hänseleien seine Mitschüler fähig sind – und das alles nur, weil er kein Spiegelbild hat und die Sonne nicht so gut verträgt. Es liegt an seinen Vater Vlad, den Jungen aufzubauen. Szenarist Loïc Clément und Zeichner Clément Lefèvre („Die entsetzliche Angst der Epiphanie Schreck“, toonfish) haben mit ihrem Comic eine einfühlsame Geschichte über Ängste und Mobbing geschrieben, der Eltern und Kindern gleichermaßen Mut macht. Ältere Phantastikfans dürften sich zudem an die vielen Romananspielungen erfreuen, die dieser kleine, feine Comic mit sich bringt.

Diese Beiträge erschienen zuerst in den Ausgaben 80, 81 und 82 der „phantastisch!“. „phantastisch!“ – das Magazin für Science Fiction, Fantasy & Wissenschaft erscheint alle drei Monate im Atlantis Verlag.

Sonja Stöhr schreibt seit rund zehn Jahren über phantastische Literatur. Ganz besonders angetan haben es ihr Geschichten für große und kleine Leser. Beiträge von ihr erscheinen regelmäßig in der „phantastisch!“ und auf diezukunft.de.