Comicverfilmungen in Deutschland – Teil 4 Oder: Kirre werden leicht gemacht

Seit 1977 schrieb der Schriftsteller und Comicautor Peter Mennigen zunächst deutsche Geschichten für Comicreihen wie „Gespenster Geschichten“, „Spuk Geschichten“, „Conny“, „Biggi“, „Vanessa“, „Felix“, „Lasso“, „Phantom“, „Axel F.“ und zahlreiche weitere Serien des Bastei Verlags. Ab den 90er Jahren arbeitete er für andere Verlage wie Egmont (Disney-Magazine), Panini (Jessy, Sternentänzer, Willi will‘s wissen) und Ravensburger (u.a. Fix und Foxi). In dieser Zeit verfasste er auch internationale Comics: „Lucky Luke“, „Schlümpfe“, „Bessy“ und „Isnogud“. Aktuell arbeitet er zusammen mit Ingo Römling an der Mystery-Steampunk-Serie „Malcolm Max“. Für comic.de blickt er in unregelmäßigen Abständen zurück auf seine Arbeit im deutschen Comicverlagsgeschäft.

Hier findet sich der 1. Teil, hier der 2. und hier der 3.

Wenn ich meine krasseste Erfahrung bei einer geplanten Comicverfilmung schildern sollte, wäre das hier mein Favorit:
Ab Januar 1979 erschien im Bastei Verlag ein Rennfahrercomic namens „BROOMM“. Das großformatige Magazin beinhaltete drei jeweils in sich abgeschlossene Geschichten mit drei verschiedenen Helden aus dem Motorsport: „Das Team der jungen Wölfe“, „Ron Camaro“ und „Steve Wheeler“. Mit Heft 34 wurde die Reihe unter dem Titel „Heiße Räder“ bis zur Ausgabe 39 fortgesetzt. Die Serie erschien auch in Schweden. Im August 1980 veröffentlichte Bastei dann einen neuen Rennfahrercomic: „Tex Norton“. Genau wie die drei Serien in „Broomm“ hatte ich auch diese Reihe mit konzipiert und alle Storys geschrieben. „Tex Norton“ brachte es auf 22 Hefte in Deutschland, plus Veröffentlichungen in Spanien.

„BROOMM“ erschien zwischen 1979 bis 1980 im Bastei Verlag.

Anfang der 1980er Jahre meinte ein befreundeter Produzent (nein, es war nicht Jacky Dreksler), die Rennfahrer-Comics seien ein guter Stoff für eine Verfilmung. Allerdings vertieften wir das Thema nicht weiter. Es sollte über zehn Jahre dauern, ehe es dann vollkommen unerwartet wieder aus der Versenkung auftauchte.

Mitte der 1990er Jahre feierte Michael Schumacher seine ersten Formel 1 Weltmeistertitel, worauf in Deutschland ein regelrechter Formel 1 Hype ausbrach. Aus dem Grund rief mich besagter Produzent im Sommer 1997 an einem Montagmorgen gegen sieben Uhr an. Ich rang gerade mit einer Deadline für ein größeres Projekt und die Störung passte mir deshalb gar nicht. Andererseits war mein Anrufer dermaßen aus dem Häuschen, dass ich ihn nicht gleich abwürgen wollte.

Das Telefonat begann ziemlich dramatisch. Hektisch teilte mir mein Anrufer als erstes mit, dass sein Telefon heute jederzeit abgestellt werden könnte. Grund waren diverse unbezahlte Rechnungen, da er im Moment etwas klamm sei. Auch bei Strom und Wasser war er mit dem Begleichen der Verbindlichkeiten etwas in Verzug geraten, weshalb hier ebenfalls kurzfristig mit einer Abschaltung zu rechnen sei. Sollte also unser Gespräch abrupt unterbrochen werden, würde er später von einem Nachbarn aus erneut anrufen.

Ab Heft 11 wurde „BROOMM“ mit einem „O“ im Titel weniger geschrieben, was die Verkaufzahlen aber nicht sonderlich pushte.

Grund für seinen finanziellen Engpass war eine anstehende TV-Produktion, in die er sein gesamtes Geld – und vermutlich auch noch etwas mehr als das – gesteckt hatte. In Erwartung, dass ein Fernsehsender in Kürze die erste Tranche des veranschlagten Budgets überweisen würde.
Weswegen er im Ausland bereits mehrere für seine geplante Fernsehserie unabdingbare Drehorte angemietet hatte. Unter anderem für 40.000 D-Mark einen kleinen Rennkurs, weil die Locations ansonsten auf Monate, vielleicht Jahre hinaus an andere Produktionsfirmen vergeben sein könnten.

Wie sich bei meinem Telefonat weiter rausstellte, basierte seine Fernsehserie in spe ursprünglich auf meinen oben genannten Rennfahrer-Comics von Bastei. Zumindest hatte er die Comics während der Vorstellung des Projekts bei einer Fernsehanstalt als Grundlage für die von ihm geplanten Serie präsentiert. Mit der für die Vergabe von Produktionsgeldern verantwortlichen Redakteurin verband ihn eine jahrelange Zusammenarbeit. Deswegen unterstützte sie seinen Vorschlag ohne große Vorbehalte. Außerdem lief er mit dem Rennfahrer-Thema beim Sender gerade offene Türen ein, weil man die Michael-Schumacher-Welle hierzulande quotenmäßig ausnutzen wollte und gerade Stoff für eine eigene Fernsehserie suchte. Das Ganze musste jedoch recht zügig produziert werden, solange die Formel 1 noch ein Zugpferd beim Publikum war.

Allerdings hatte die Redakteurin Bedenken, dass es wegen des Copyrights meiner Heftserien zu rechtlichen Problemen mit dem Bastei Verlag kommen könnte. Deswegen schlug sie vor, eine neue Serie zu kreieren: selbes Genre, vollkommen andere Geschichten mit anderen Protagonisten.
Der Produzent sah darin kein Problem. Aufgrund ihrer bisherigen Zusammenarbeit und des Terminsdrucks für das Projekt gab ihm die Entscheidungsträgerin des Senders eine mündliche Zusage zur Finanzierung der Produktionskosten. Die erste Vorauszahlung sollte mit Abgabe des Treatments für die erste Staffel inklusive der Synopsis jeder Episode erfolgen.

Mit Ausgabe 34 erfolgte eine neue Titeländerung in „HEISSE RÄDER“.

So weit, so gut. Wie sich nun bei meinem Telefonat mit dem Produzenten herausstellte, hatte die langsam ungeduldig werdende Redakteurin ihn am Abend zuvor angerufen und sich nach dem Verbleib des Treatments erkundigt. Der vereinbarte Abgabetermin war bereits überfällig. Worauf der Produzent ihr gegenüber beteuert hatte, dass das Treatment und die Exposés fertig geschrieben seien. Er würde das Material in den kommenden Tagen persönlich beim Sender vorbeibringen. Was so nicht ganz der Wahrheit entsprach und nun für den Produzenten zu folgendem Dilemma geführt hatte: Bei dem gestrigen Telefonat hatte ihn die Redakteurin mit der Überraschung konfrontiert, dass sie morgen sowieso bei ihm in der Nähe sei und das Treatment und die Synopsen abholen würde.

An der Stelle kam nun der eigentliche Drehbuchautor ins Spiel, der ebendieses Treatment und die Synopsen längst hätte schreiben sollen. Bei meinem Kollegen handelte es sich um den besten Freund des Produzenten, der aufgrund unerwartet aufgetretener privater Probleme kürzlich etwas aus der Bahn geworfen worden war. Deswegen hatte er die Abgabe des Treatments zunächst immer wieder verschoben und war nun seit einigen Tagen unauffindbar abgetaucht. Aus dem Grund stand der Produzent jetzt mit leeren Händen da, wenige Stunden bevor der Besuch der Redakteurin über sein zukünftiges Wohl und Wehe entscheiden würde. In seiner Verzweiflung bat er mich, das Treatment plus Plots für zehn TV-Folgen in den verbleibenden vier bis fünf Stunden zu schreiben und ihm per Fax zu schicken.

Mir blieb also die Wahl zwischen den Hörer auflegen und die Geschichte, die mich im Grunde rein gar nichts anging, zu vergessen, oder einen bei objektiver Betrachtung zum Scheitern verdammten Freundschaftsdienst zu starten. Wider aller Vernunft entschied ich mich den Job meines abtrünnig gewordenen Autorenkollegen zu erledigen.

Als Nachfolger für „Heiße Räder“ brachte Bastei „Tex Norton“ an den Start.

Nach dem Telefonat verbannte ich alle Bedenken aus dem Kopf und legte los. Als nächstes dachte ich mir ein Umfeld aus, in dem die Protagonisten mit einem entsprechend interessanten Background agierten. Kaum brachte ich die Figuren zusammen, schrieben sich die Storys erstaunlicherweise fast wie von selbst. Das Ergebnis war zwar kein zweites „Breaking Bad“, aber angesichts der Umstände hätte es auch schlechter ausfallen können. Mittags war der damit verbundene Stress dann bloß noch eine unangenehme Erinnerung. Keine Ahnung wie, aber im Rausch des Adrenalins hatte ich die Texte rechtzeitig geschafft, faxte alles zu dem Produzenten und war danach erst mal reif fürs Sauerstoffzelt. Kurz darauf rief mich der Produzent zurück, er habe das Material bekommen und mit etwas Glück hätte sich damit sein Nervenflattern bezüglich der Fernseh-Redakteurin erledigt.

Offen gesagt habe ich keine Ahnung, was danach aus dem Produzenten, seinen Plänen und meinem Treatment wurde, und ich wollte es auch gar nicht wissen. Meine Befürchtung war, dass ich womöglich auch noch die Drehbücher zu der Serie schreiben sollte. Zu der Zeit hatte ich deadlinemäßig gerade mehr um die Ohren als der Osterhase an Karsamstag. Ich war bis weit ins kommende Jahr komplett ausgebucht, so dass ich mir um keinen Preis der Welt zusätzliche Arbeit ans Bein hängen wollte. Deshalb „duckte“ ich mich weg, in der Hoffnung, dass der Produzent mich vergessen würde, wenn ich mich nicht meldete. Er hatte ja jetzt sein Treatment und die Synopsen, was ihm ein paar Tage Luft verschaffen sollte. Bis dann würde vielleicht auch sein verschollener Autorenfreund seine Krise überwunden haben, wieder aus der Versenkung auftauchen und ihn überzeugen, dass er die Drehbücher schreiben könne. So oder so ähnlich muss es wohl gelaufen sein, denn ich hörte und sah seitdem nichts mehr von dem Produzenten.

Im Laufe der Jahre verfasste ich noch etliche Drehbücher für Fernsehserien. Allerdings waren das alles Auftragsarbeiten, von denen keine auf einer Comicserie basierte. Aber vielleicht geht ja mein eigenes kleines Filmprojekt als Comicverfilmung durch: Im Jahre 2003 schrieb und produzierte ich (letzteres mit großzügiger Unterstützung des Fernsehproduzenten Jacky Dreksler) einen kleinen Film mit dem Titel „Das Grauen“. Unter der Regie des 2014 für den deutschen Fernsehpreis nominierten Martin Waldmann spielte in dem Film u. a. auch die damals weitgehend unbekannte Carolin Kekebus mit. Der Streifen feierte bei den Filmfestspielen in München Premiere und wurde in den Jahren danach auch ein paarmal im Fernsehen ausgestrahlt. Thematisch könnte man den Streifen als Adaption eines Comics aus der Reihe „Gespenster Geschichten“ betrachten.

Wenn man so will, die Vorlage zu meiner eigenen kleinen Comicverfilmung.