Sauwetter – „Die Horde des Windes“

Ganz eine zugige Ecke des Universums ist ein Planet geworden, der wahrscheinlich irgendwann einmal die Erde war: unablässig umtost von mörderischen Stürmen, die jedes Leben eigentlich unmöglich machen. Einige Völker haben sich dennoch erhalten, die meisten davon hausen in unterirdischen Gewölben oder massiv befestigten Ansiedlungen, wie etwa Aberlaas. Aber einige Verwegene haben es auch in eine ganz besondere Gilde geschafft: die Horden des Windes, deren Mitglieder auf Lebenszeit rekrutiert werden und die auf der Oberfläche umherziehen. Schon im Kindesalter bekommen die Angehörigen der 34. Horde vom König von Aberlaas einen besonderen Auftrag. Sie sollen stur nach Osten marschieren und dort die legendären Quellen des Windes finden, um am „äußersten Beginn“ vielleicht ein Mittel zu entdecken, die Welt wieder bewohnbar zu machen.

Éric Henninot (Autor und Zeichner): „Die Horde des Windes Band 1“.
Aus dem Französischen von Tanja Krämling. Splitter Verlag, Bielefeld 2020. 80 Seiten. 18 Euro

Kleines Problem dabei: Das haben 33 Horden vorher schon versucht und mit dem Leben bezahlt. Aber die Hordler um Anführer Golgoth lassen sich nicht abschrecken und ziehen in einer der ganz wenigen Flauten los Richtung Osten. Bald brechen Streitigkeiten auf, ob man sich nun hinter Schutzwällen versteckt oder unerschrocken weitergeht, was Golgoth allerdings zu unterbinden weiß. Ebenso schnell gibt es erste Opfer zu beklagen.

„La Horde Du Contrevent“, so heißt dieses Epos im Original, mit dem der französische Science-Fiction- und Fantasy-Autor Alain Damasio 2006 eine düstere Dystopie vorlegte, für die er prompt einen Grand Prize of Imaginary Writing einheimste. Der erste Versuch, den Stoff zu adaptieren, scheiterte grandios. Das Videospiel-Projekt „Windwalkers“ erblickte niemals das Licht der Konsolen. Umso erstaunter war Damasio, als sich Zeichner Éric Henninot (u. a. „Carthago“, „Ein Sohn der Sonne“) vornahm, den Roman in eine grafische Form zu übertragen und dabei auch noch das Szenario zu verfassen. Dieses Unterfangen gelang dann ganz offenkundig und liegt nun mit Band 1 beeindruckend vor. Die Story ist dabei eine durchaus gängige Anti-SF-Konzeption, in der wenige Abenteurer durch eine verwüstete, postapokalyptische Erde ziehen, in der das Feudalwesen wieder Einzug gehalten hat und moderne Technik Fehlanzeige ist. Maschinen treffen wir bestenfalls in den mitgezerrten Materialschlitten und den Äölüsen – windmühlenartigen Energie-Erzeugern, die dem Wind allerdings gerne mal zum Opfer fallen.

Innerhalb der Horde herrscht eine klare Hackordnung, vom unangefochtenen Anführer Golgoth über den Schreiber und Chronisten Sov Strochnis bis hin zur Luftmeisterin Oroshi Melicerte, die die Dynamik des Windes erspüren kann. Postmoderne Handwerksgilden sozusagen, die im „Eisen“ und im „Pulk“ zusammengeschlossen sind. Der Star allerdings ist hier unzweifelhaft die optische Gestaltung: Henninot inszeniert das Geschehen dynamisch, mit mutigem Strich, großflächigen Panels, in denen die sturmgepeitschte Landschaft die umherziehenden Menschlein dominiert. Der allgegenwärtige Wind erscheint durch heulende Soundwords auch als optische Macht, die sich alles und jeden unterjocht. Für alle Freunde düsterer Zukunftsvision somit mehr als nur einen Blick wert – wir werden sehen, woher der Wind in Band 2 (erscheint im Dezember) pfeift.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Seite aus „Die Horde des Windes Band 1“ (Splitter Verlag)