Die Fantasy-Groteske „Den“ gehört zu Richard Corbens berühmtesten Werken. Beim Splitter Verlag erscheint nun eine edle Neuausgabe.
Keine Ahnung – und das vollumfänglich. Irgendwo in einer fremden Welt taucht er aus dem Nichts auf. Er weiß nicht, wer er ist und woher er kommt. Nur seinen Namen kennt er: Den. Zuerst folgt er, vollkommen nackt, seinen Instinkten. Er isst und trinkt, wundert sich über seine Fähigkeiten und seine Kraft. Dann beobachtet er einen Echsenmenschen und schließlich eine Frau, ebenfalls textilfrei, die ein grausames Ritual zelebriert, bei dem Den eingreift. Jetzt schlittert er in ein turbulentes Abenteuer in diesem Land, das Nirgendwo heißt: Zuerst befreit er Katherine, in die er sich sofort verliebt, dann soll er gegen die böse Königin kämpfen, die einen mächtigen, uralten Gott beschwören will. Fortan versuchen die Parteien und Gegner, Den für sich zu gewinnen, ihn als Werkzeug zu gebrauchen, wobei Den stets den Kürzeren zieht.
„Den“ gilt als berühmteste Figur Richard Corbens. Sie erblickte auf kuriose Weise das Licht der Welt, nämlich in einem kruden Kurzfilm, den Corben 1968 als Angestellter eines Trickfilmstudios weitgehend in Eigenregie realisierte. „Neverwhere“ (auf Youtube abrufbar) ist eine Mischung aus Real-und Trickfilm: Ein Normalo (heute würde man vielleicht Nerd sagen) konstruiert ein Gerät und wird damit in eine archaische Fantasy-Welt gesogen, wo er als erstarkter Held den Retter gibt. „Den“ als Comic gab es erst danach, nämlich ab 1973. Der spielt ausschließlich in der Fantasy-Ebene, Corben zeigt nur kurze Erinnerungsfetzen an die reale Welt. Der Held ist einfach da, und muss eben sehen, wie er zurechtkommt – bei Corbens Spätwerk „Murky World“ ist der Einstieg ganz ähnlich, nur ist die Hauptfigur dort ein ziemlicher Trottel.
Später kehrte Den zum Trickfilm zurück und ist prominent im „Heavy Metal“-Film vom 1981 vertreten. Corbens Inspirationen und Vorbilder sind klar ersichtlich: Schon im Kurzfilm liest die Hauptfigur Edgar Rice Borroughs‘ „A Princess of Mars“ (bei uns als John Carter bekannt und als Film besser als sein Ruf). Eine Figur gelangt in eine fremde Welt oder in eine andere Dimension und kann sich dort ordentlich austoben, bis sie zum Helden aufsteigt (siehe auch „Starlight“ von Mark Millar, eine weitere Variation des Motivs). Als Superheld und Fantasy-Barbar stolpert Den in dieser neuen, offenbar feindseligen Welt umher, kommt ständig vom Regen in die Traufe, meistert dennoch alle Gefahren und kriegt am Ende nach dem großen Finale sein Mädchen. Und der diffuse Gott, der beschworen werden soll, erinnert nicht nur im Namen an das berühmteste Lovecraft-Werk.
Der Auftaktband dieser Gesamtausgabe enthält die komplette erste „Den“-Story, die wie der Kurzfilm „Nirgendwo“ heißt und neu aufbereitet, also quasi restauriert wurde, u. a. mit einem einheitlichen Lettering. Verantwortlich dafür ist der bekannte Kolorist José Villarrubia, der für seine Arbeiten schon Eisner- und Harvey-Awards gewann. Anhand der Story kann man die Entwicklungsstadien von Corbens einzigartigem Zeichenstil gut nachvollziehen, beginnend mit eher groben Zeichnungen, noch im Underground-Stil. Wobei von Anfang an die plastischen Darstellungen und die besonderen Farben sein Markenzeichen sind. Dass fast alle Figuren in üppiger Nacktheit agieren, war tatsächlich neu. Die Vor- und Nachworte stammen u. a. vom Patton Oswalt und Bruce Jones, der später auch für Corben schrieb. Eine Bildergalerie beendet diese mustergültige Neuausgabe.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Richard Corben: Den. Band 1: Nirgendwo • Aus dem Englischen von Gerlinde Althoff • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 128 Seiten • Hardcover • 29,80 Euro
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.