What is Love?

Diese Kritik erschien zuerst am 19.06.2018 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]

Bekanntermaßen rollen derzeit Ball und Rubel in einem Land, dass sich mehr und mehr zum Vorkämpfer einer traditionalistischen und homophoben Geschlechterpolitik stilisiert. Feministische wie auch LGBTI-Aktivist*innen, die hiergegen aufmucken, machen immer schneller Bekanntschaft mit der staatlichen Repressionsmaschinerie. Diese hektische Gereiztheit gegenüber denen, die andere Formen sexueller und amouröser Beziehungen vertreten, erklärt sich wie so oft dadurch, dass bereits deren alleinige Existenz die angebliche „Gottgewolltheit“ oder auch „Natürlichkeit“ des von offizieller Seite für gut und richtig befundenen Status quo heftigst in Zweifel zieht. Die Frage, wer wen wie in Russland lieben und ficken darf, ist daher keine Privatsache, sondern immer schon politisch adressiert.

Die Comicautorin und Politikwissenschaftlerin Liv Strömquist erkundet genau dieses Politische im Privaten (oder ist es umgekehrt?), indem sie sich eine der berüchtigsten aller Kinderfragen stellt: Liebe, was ist und was heißt das eigentlich? Der Reiz der Graphic Novel „Der Ursprung der Liebe“ liegt darin begründet, dass die schwedische Autorin tatsächlich wie ein Kind fragt: In unerschütterlicher, beinahe nerviger Beharrlichkeit werden allerlei Selbstverständlichkeiten, Selbstgewissheiten und Gemeinplätze in Liebesdingen und Beziehungsfragen ungeniert angezweifelt. Sind Frauen sensibler als Männer? Sind Männer eher an ihrer Selbstverwirklichung interessiert, während Frauen auf den Aufbau und die Pflege von sozialen Bindungen fokussieren? Ist das Eingehen einer (heterosexuellen) Zweierbeziehung demzufolge aus männlicher Sicht nicht höchst irrational? Woher kommt überhaupt dieser ominöse Gefühlsmischmasch aus Herzrasen, Bauchschmerzen und maximaler Verwirrtheit, welcher in unseren Breitengraden oft auch als „Verliebtsein“ bezeichnet wird?

Liv Strömquist: „Der Ursprung der Liebe“.
Aus dem Schwedischen von Katharina Erben. Avant-Verlag, Berlin 2018. 136 Seiten. 20 Euro

Zur Beantwortung dieser und weiterer Fragen hat Liv Strömquist Zitate zahlreicher Gewährsfrauen und -männer aus den Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften im Handgepäck, die nicht unbedingt als letztgültige Antwortgeber fungieren, sondern vielmehr den zahlreichen Fragen eine Richtung geben, hier und da aber auch zum Widerspruch reizen können. In methodischer Hinsicht sind die wichtigsten (aber ungenannt gebliebenen) Stichwortgeber zweifellos Foucault und Derrida. Denn genealogische Rekonstruktion und die Kunst des Verschiebens (Dekonstruktion) sind die Werkzeuge, mit denen Strömquist unseren Vorstellungen vom „Wesen“ der Liebe, von „natürlicher“ Zweisamkeit und Sexualität als „biologischer Tatsache“ gewissermaßen den Boden entzieht.

Solche Kunstfertigkeiten semantischer Verschiebungen bilden meiner Meinung nach die Höhepunkte des Buches, weil sie mehr als jede historische Analyse der Geschlechterverhältnisse und auch mehr als jede Abbildung feministischer Theoriestandpunkte dem ästhetischen Eigensinn der Kunstform Comic am meisten entsprechen.

Im Vordergrund stehen dabei die Nutzung der comicalen (Stereo-)Typisierung (alles ist total, absolut, s/w) und das Anlegen entsprechender Schablonen auf soziale Interaktionsmuster in der „wirklichen“ Welt. Ein schönes Beispiel dafür ist, wie der heiligend-affirmative Ernst, der etwa hinter dem „Gefühl-jemanden-zu-lieben“ steckt, durch Dekontextualisierung und Gegenüberstellung zu anderen Gefühlen (Hass, Freundschaft) der beinahe völligen Lächerlichkeit preisgegeben wird. Die Rigorosität und Maßlosigkeit, mit der wir in Liebesdingen zumeist urteilen, ist vielleicht nur vergleichbar mit denen eines religiösen Fanatikers oder eines politischen Extremisten. (Eine These der Autorin lautet dementsprechend, dass romantische Liebe im zunehmend säkularen Zeitalter als Substitut religiöser Hingabe fungiert.)

Vielleicht ist diese Art von Humor – und Liv Strömquist hat viel davon zu bieten – nötig, um uns Leser*innen die bittere Pille schlucken zu lassen, die sie bereithält und Entzauberung bedeutet. Dass an Liebe nichts bzw. nur sehr wenig „natürlich“ ist und unser Leitbild einer heterosexuellen Zweierbeziehung eine soziale Konstruktion darstellt, mag man noch als Banalität achselzuckend zur Kenntnis nehmen. Dass dahinter handfeste Machtinteressen stehen, verdrängen jedoch selbst die aufgeklärtesten Geister vor allem im Alltag viel zu gern.

Bild aus „Der Ursprung der Liebe“ (Avant-Verlag)

So ist das meist männlich konnotierte Konstrukt der „Selbstverwirklichung“ gar nicht realisierbar ohne sein (negatives) Pendant der wiederum weiblich konnotierten „Selbstaufopferung“ bzw. „Fürsorge“. Dies gilt für die Mikroebene des Sozialen (Paarbeziehungen) ebenso wie für die Makroebene, wo sich die Mehrzahl der Frauen in – oft mies bezahlten und kaum angesehenen – Erziehungs- und Pflegeberufen aufopfern, während allein durch das Mann-Sein die Wahrscheinlichkeit exorbitant steigt, als Spitzenpolitiker, Unternehmensboss oder Leistungssportler reich und berühmt zu werden.

Zuletzt sei noch ein gravierender Mangel des Comics angesprochen: Er scheint vollkommen aus der Zeit gefallen zu sein. Dass derzeit sogenannte Lebensschützer*innen, Homophobe, misogyne Maskulinisten und Anti-Feministen Sturm gegen die zahlreichen emanzipatorischen Errungenschaften pro-feministischer Politik laufen, wird hier leider mit keiner einzigen Silbe erwähnt. Wer aber in der Auseinandersetzung mit den Verfechtern einer ultratraditionalistischen Geschlechterpolitik bestehen will, muss auch schon Erreichtes (wachsende Sensibilität für sprachliche Diskriminierung, Frauenquote, Homoehe etc.) als solches zur Kenntnis nehmen und schätzen können.

Es ist leicht, aus progressiver Perspektive die zahlreichen politischen Kompromisse und Halbherzigkeiten zu kritisieren, mit der die Gleichstellung von Mann und Frau mal mehr und mal weniger effektiv vorangetrieben wird. Auch darüber, dass der in puncto Rollenbilder eindeutig messbare gesellschaftliche Bewusstseinswandel noch zu wenig praktische Auswirkungen auf die Lebensrealitäten von Männern und Frauen in Beruf und Familie hat, lässt sich monieren. Doch allein der heftige Widerstand aus dem Lager der Traditionalisten zeigt, dass man bereits einiges erreicht hat und hierauf wohl auch stolz sein könnte. Vielleicht gibt es ja in einigen Jahren eine aktualisierte Neuauflage oder gar eine Fortsetzung des in Schweden bereits 2010 erschienen Buches, welche den Stand der aktuellen Diskussion abbildet und uns darüber aufklärt, ob da auch etwas ist, das sich zu verteidigen lohnte.

Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.

Seite aus „Der Ursprung der Liebe“ (Avant-Verlag)