Ein altes Paar liegt tot im Ehebett. Der Mann mit Schlips und Kragen, seine rechte Hand leicht verkrampft. Die Kostümjacke der Frau ist bis oben zugeknöpft. Beide halten einander die Hand. Die ernsten Mienen hat Migelanxo Prado den beiden mit feinen schwarzen Linien ins Gesicht gezeichnet. So beginnt der Krimi „Leichte Beute„. „Eines Morgens – wir haben uns gerade Frühstück gemacht, das Radio lief – da hörte ich die Nachricht, dass ein altes Paar Selbstmord begangen hat – und der Grund dafür seien finanzielle Probleme gewesen.“
Als Miguelanxo Prado diese Nachricht hörte, hatte er gerade eine ernste Demenz-Geschichte abgeschlossen. Als Nächstes wollte er einen Krimi machen, ursprünglich als hübsche Genreübung gedacht, in der sich die Kommissare behakeln und das einzige unübersichtliche die vertrackten Wendungen der Ermittlungen sein sollten. „Als ich die Geschichte im Radio gehört habe, wurde mir zum ersten Mal klar, welche Ausmaße die Finanzkrise hat. Und dann dachte ich – ok, das ist eine gute Geschichte für einen Krimi. Allerdings war es dann plötzlich überhaupt kein Vergnügen mehr, diesen Krimi zu schreiben.“
Bislang waren die Bücher von Prado sehr farbenfroh – auch bei ernsten Themen. „Leichte Beute“ dagegen hat er in Schwarz-Weiß gezeichnet – mit sehr vielen düsteren Grautönen. Die Kommissarin und ihr Assistent behakeln sich zwar noch, doch dabei wirken sie zu deprimiert, um unterhaltsam zu sein – zu müde und zu überfordert. „Ich habe immer wieder die Zeichnungen verändert – vor allem wenn Inspektor Tabares zu attraktiv wurde. Das war das erste Mal in meiner Karriere, dass ich das Gefühl hatte, ich muss mich selbst kontrollieren, damit die Zeichnungen nicht spektakulär werden. Denn die Leser sollten sich auf die Geschichte konzentrieren.“Die Geschichte: Mehrere Bankangestellte unterschiedlicher Unternehmen werden ermordet. Später soll sich herausstellen, dass die Ermordeten exakt die Hierarchie eines Bankhauses abbilden. Ist da ein Serientäter am Werk? Die Spuren führen immer wieder in ein Altenheim – zu einer Reihe reizender Rentner, die allesamt ihre Ersparnisse bei Bankgeschäften verloren haben.
Die Hintergründe der Geschichte waren schnell recherchiert, meint Miguelanxo Prado. Die Zeitungen waren voll von Analysen zur spanischen Finanzkrise. Und auch unter Prados Freunden und unter seinen Familiemitgliedern hatten viele ihr Geld verloren. Alles hatte damit angefangen, dass Banken mehr Geld für eigene Anlagegeschäfte locker machen wollten. „Und dann haben sie beschlossen, das auf eine sehr einfache Weise, Geld zu machen – nämlich mit dem Geld von alten Leuten zu wirtschaften – also die typischen, sehr konservativen Anlagen der Eltern, die ihr Geld einfach auf einem Bankkonto haben. Es gab sehr viele Telefongespräche, in denen den Menschen vorgeschlagen wurde, das Geld zu sehr viel besseren Bedingungen anzulegen. Und die Frage war immer: Ist das sicher? Und die Antwort war ‚Ja‘.“
Miguelanxo Prado überträgt die Bankenkrise auf individuelle Schicksale. Er schildert die Geschichte des Bankangestellten, der seinen Job verliert, weil er die Kunden über die Risiken solcher Anlagen informiert. Er erzählt von Rentnern, die ihre Ersparnisse verlieren. Und von Gewinnern, die viel Geld mit der Krise verdienen und die die Verantwortung den Anlegern zuschieben. Es sei doch schließlich normal, dass man in Verträgen das Kleingedruckte liest.
Miguelanxo Prado beobachtet in vielen Teilen der Gesellschaft immer weniger Solidarität – auch im Unabhängigkeitsbestreben des reichen Katalonien. „Es sind dieselben Reden wie von Trump: America first, Catalonia first, Norditalien first, Nord Europa first. Und dann werden die Dinge problematisch. Es ist menschlich, dass man in schwierigen Situationen erst mal an die eigene Familie oder Gruppe denkt und nicht teilen will. Das ist, wie wenn Reiche keine Steuern zahlen wollen. Natürlich zahlt niemand gern Steuern. Die einzige Lösung, die ich sehe ist: Zurück zur Realität kommen. Aber es braucht eine ethische Übereinkunft, dass die, die mehr haben auch mehr geben. Nur so kann es eine ausgewogene Gesellschaft geben.“
Miguelanxo Prado schildert in seinen Büchern große Themen immer wieder aus der Perspektive von Schwachen – und von Alten. Denn die würden sonst kaum wahrgenommen, meint er. Über die große Jugendarbeitslosigkeit in Spanien werde auf der ganzen Welt berichtet, Altersarmut falle dagegen unter den Tisch. Mit „Leichte Beute“ nimmt Prado die Alten in den Blick und lässt sie nicht nur Opfer sein, sondern auch Täter. Schließlich ist es ein Krimi. „Einige meiner Redakteure haben sich einen Witz daraus gemacht und mir immer wieder Nachrichtenartikel geschickt und gesagt: Miguel, du musst das Buch schnell fertig machen – sonst wird es von der Realität überholt.
Dieser Text erschien zuerst auf: Deutschlandfunk.
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.