Aus Prinzip keine Regeln

Fünf Bände wird die kleine Werkschau von Moebius alias Jean Giraud (oder kurz GIR) umfassen, der ein einzigartiges Künstler-Doppelleben führte. Einmal als Schöpfer von mitunter bizarren, aber immer faszinierenden Fantasy – und Science-Fiction-Welten und dann als Zeichner (und später auch Autor) des ultimativen franko-belgischen Westernklassikers „Blueberry“, dem aktuell Egmont Ehapa eine neue Gesamtausgabe im Großformat gönnt. Hier in der Moebius Collection aus dem Hause Splitter kommen Werke zum Tragen, die der 2012 verstorbene Moebius abseits vor seinen „regulären“ und auch zugänglicheren Serien (wie „Der Incal“ oder „Sternwanderer“) schuf, darunter absolute Genre-Klassiker wie die „Arzach“-Episoden und „Die hermetische Garage“, die beide in diesem ersten Band (zwei weitere sind bereits erhältlich) zum Abdruck kommen.

Moebius: „Moebius Collection Band 1: Arzach / Die hermetische Garage“.
Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 160 Seiten. 35 Euro

Die Figur jenes mysteriösen Fremden, der ziellos auf seinem Flugsaurier durch eine Fantasy-Welt gondelt und dort diverse heikle Begegnungen erfährt, teilweise mit einer Pointe am Ende, entstand 1975. Erst 2009 definierte Moebius in seinem Spätwerk die Figur genauer, indem er ihr ein Album mit einer vergleichsweise konventionellen Story widmete (dt. bei Ehapa „Arzak: Der Raumvermesser“, nur noch antiquarisch erhältlich). Die vier ursprünglichen Episoden sind farbig angelegt (direkt koloriert, wie uns das Nachwort verrät) und zeigen trotz der gleichen Hauptfigur, dass die einzige Konstante in Moebius‘ frühen Comics das Unbeständige ist – selbst der Name des Fremden variiert von Folge zu Folge von Arzach zu Harzak und Arzak bis zum skurrilen Harzakc. Erstmals auf Deutsch erschienen die Arzach-Episoden übrigens 1980 im „Schwermetal“-Magazin aus dem Volksverlag.

Dann folgt „Die hermetische Garage“, jenes Werk, das bei jeder Lese-Generation mindestens Fragen, wenn nicht gar Unverständnis hervorrufen wird. 1979 entstanden und in „Métal Hurlant“ mit jeweils zwei bis vier Seiten in Schwarz-Weiß erstveröffentlicht, brachte wieder der Volksverlag 1983 eine erste deutsche Albumausgabe. Die Story könnte – natürlich nur grob umrissen – so gehen: Major Grubert (übrigens in Baden-Baden geboren) ist der Schöpfer jener Welt, die aus drei Ebenen besteht. Sein Widersacher ist Jerry Cornelius, der immer mehr Boden gutzumachen droht. Am Ende zeigt sich der wahre Drahtzieher, gegen den die beiden Kontrahenten gemeinsam in bester Superhelden-Manier zu Felde ziehen. Der Plot ist alles andere als stringent, sondern voller plötzlicher und spontaner Wendungen. Ständig werden neue Perspektiven und Erkenntnisse serviert, wobei gerade etablierte Erzählstrukturen nach zwei Seiten schon wieder souverän über Bord geworfen werden. Textlich gewürzt werden die Episoden mit fremdartigen Bezeichnungen, Namen und Maschinen.

Jerry Cornelius wurde vom Fantasy- und Science-Fiction-Autor Michael Moorcock als Romanfigur erdacht. Moorcock gestattet, dass die Figur auch von anderen Autoren aufgegriffen und benutzt werden darf. Cornelius‘ gegenüber steht Major Grubert mit seinem kuriosen Hut, einer Mischung aus Tropenhelm und Pickelhaube. Konsequenterweise bleibt Moebius auch in seiner Optik inkonsequent. So gibt es Unterschiede im Detailreichtum der Zeichnungen, manche Episoden sind fast im Funnystil gehalten. Es gibt Sprechblasen und dann wieder nicht. Nicht nur das Superhelden-Genre wird zitiert, so borgte Moebius das Aussehen des Riesenroboters von Lee Falks „Phantom“ und der Titelschriftzug erinnert einmal an Will Eisners „Spirit“. Und das Panel mit dem Bogenschützen, der auf das U-Boot schießt, welches auf der Riesenwelle reitet, ist in seiner Dynamik unerreicht. Das Nachwort von Daniel Pizzoli, der bereits eine Blueberry-Monographie verfasste, verblüfft mit peniblen Analysen. Wie würde Mr. Spock sagen: „Faszinierend“.

Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de

Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.

Seite aus „Arzach“ (Splitter Verlag)