„Comic ist heute fester Bestandteil der Popkultur“

Kürzlich erschien der zweite Band der SF-Trilogie „Die Krone der Sterne“ von Ralf Schlüter, nach „Das Wolkenvolk“ seine zweite Adaption einer Romanvorlage von Kai Meyer. Im Interview spricht der Bielefelder Comiczeichner über die Vorzüge des digitalen Arbeitens, seine Liebe zur Phantastik, die veränderte Reputation des Comics und die Space Opera als künstlerische Herausforderung.

1997 und 1998 erschien mit der zweibändigen Mini-Serie „Schattengänger“ dein Debüt bei Tilsner. Du hast also in der Praxis noch den analogen Schlussspurt des Comics miterlebt. Hat sich mit den digitalen Möglichkeiten deine Arbeit an einem Comic gravierend verändert? Und steckt darin ausschließlich Segen oder offenbart sich in manchen Phasen des Arbeitsprozesses auch ein Fluch?

Damals benutzte ich zum Kolorieren noch transparente Wasserfarbe auf Kopien der getuschten Originalseiten. Da ich ja auch heute noch die Reinzeichnung analog auf Zeichenkarton anfertige, liegt in meinem Fall der Unterschied hauptsächlich in der Kolorierung, die jetzt digital am Rechner geschieht. Dadurch werden z. B. Fehlerkorrekturen erheblich erleichtert. Früher musste deswegen oftmals das ganze fehlerhafte Panel ausgeschnitten und ausgetauscht werden. Ein weiterer Vorteil digitaler Kolorierung: Man kann viel mehr ausprobieren! Nun ist es bspw. viel einfacher auszuwählen, welche spezielle farbliche Stimmung man einem Panel oder einer Seite geben will.

Szene aus „Das Wolkenvolk Band 6“ (Splitter Verlag)

„Schattengänger“, „Das Wolkenvolk“, „Die Krone der Sterne“ – all deine Comics sind auf dem weiten Feld der Phantastik angesiedelt. Science Fiction, Fantasy, Horror, was sind die reizvollen Elemente dieser Genres? Welche Möglichkeiten verschaffen sie dir als Künstler?

Früher, in den 80er-, 90er-Jahren, ging ich davon aus, dass man gerade in diesen Genres im Comic noch Geschichten mit Bildern erschaffen kann, die kein Film je so wiedergeben könnte. Eine Aussage, die ich heute, dank der digitalen Entwicklung beim Film, wohl revidieren muss. Visuell ist alles möglich. Trotzdem bleibt der Comic gerade für diese Genres ein sehr dankbares Medium, weil er inhaltlich andere Wege gehen kann als ein Film mit Millionenbudget, der meist für ein Massenpublikum tauglich sein muss. So sehr ich mich in meiner Jugend nach visuellen Umsetzungen dieser Genres gesehnt habe, als sie einfach noch nicht so populär waren, ist die heutige Flut an Filme, Serien, Mangas und Jugendliteratur in diesem Bereich so enorm, dass sich bei mir manchmal schon eine gewisse Übersättigung einstellt.

Aber nach wie vor gilt: Es sind Genres, in denen der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind. Und das sind ideale Voraussetzungen, besonders für Zeichner, die es lieben, fremde Kreaturen und Locations zu erschaffen. Für mich ist es allerdings weniger das „Worldbuilding“ à la Tolkien, sondern vielmehr das Phantastische, das in unsere reale Welt einbricht, was ich liebe.

„Die Krone der Sterne“ ist nach „Das Wolkenvolk“ bereits deine zweite Adaption einer literarischen Vorlage von Kai Meyer. Wie eng ist eigentlich die Zusammenarbeit mit ihm auf dem Weg zum fertigen Album? Wacht er streng über sein Werk?

Ich schicke immer ein Scribble, also eine Skizze zu jeder Seite und jeder neuen Figur an alle Beteiligten, also Kai, Yann und Dirk Schulz vom Splitter Verlag. Zu den einzelnen Seiten, die ich im Scribble schon ziemlich genau anlege, was Layout und Posing der Figuren angeht, gibt es von Kai in der Regel sehr wenig Einwände, er lässt mir da schon sehr viel Freiraum. Am meisten diskutiert wird über den Entwurf neuer Figuren und besonders die Covergestaltung. Da hat dann vor allem auch Dirk ein entscheidendes Wörtchen mitzureden. Ich kann nur sagen, dass die Zusammenarbeit mit Kai immer sehr harmonisch und entspannt abgelaufen ist. Zumal ich mittlerweile festgestellt habe, dass wir in puncto Filme ziemlich auf der gleichen Wellenlänge sind.

Szene aus „Die Krone der Sterne Band 2“ (Splitter Verlag)

Ebenso ist „Die Krone der Sterne“ deine zweite Zusammenarbeit mit Szenarist Yann Krehl, der Kais umfangreiche Buchvorlagen zu einem Comicskript verdichtet. Steht ihr im engen Austausch, bis das fertige Skript vorliegt, oder ist das eher ein autonomer Vorgang? Geht es in dieser Phase auch schon um das Finden von Bildideen?

Yann fertigt das Skript autonom an und schickt es mir dann zu. Meist immer einzelne, abgeschlossene Sequenzen der Handlung. Die lese ich und beginne dann sofort damit, den Inhalt der Panels, wie er im Skript beschrieben ist, in kleine, gleichgroße Kästchen zu übertragen, damit ich für mich erst mal klären kann, mit welchen Bildern ich es überhaupt auf der Seite zu tun habe. In dieser Phase entstehen auch die ersten Bildideen. Sollte ich dann (aus der Sicht des Lesers) feststellen, dass ich irgendeinen Handlungsablauf nicht richtig verstehe, was extrem selten vorkommt, frage ich bei Yann noch mal nach. Aus diesen kleinen Bildern, in die ich auch schon gleich die Sprechblasen einplane, bastle ich mir dann das Layout in A4-Größe. Oft habe ich in einzelnen Panels mit der Textmenge zu kämpfen, dass sie das Bild nicht erdrückt. Manchmal muss ich auch ein zusätzliches Panel einfügen, wenn für mich im Skript zu viele wichtige Details in einem Bild vorkommen, die ich nur schwer in einem einzigen Panel erklären kann.

War es schwierig, von der Fantasy zur Science Fiction zu switchen, die luftigen und lichtdurchfluteten Settings des „Wolkenvolks“ mit seinen Drachenfiguren und vom Hongkong-Kino inspirierten Schwertkämpfen gegen das mitunter sehr kühle und technische Dekor der „Krone“ einzutauschen?

Ich muss zugeben, dass diese technische Space-Opera-Welt für mich schon eine Herausforderung war, aber als alter Fan dieses Subgenres war die Chance, einmal in diesem Bereich etwas zu machen, einfach zu verlockend. Am schwierigsten war gar nicht mal die ganze Konstruktion von Räumen und Objekten, sondern eher die Frage der Ausstattung: Wo packe ich welche Gerätschaften – Armaturen, Kabel, Rohre usw. – hin und wie sollen die aussehen? Der generelle Look dieses Projekts war ja auch bereits vorgegeben durch die vielen Romanillustrationen von Jens Maria Weber, die mir quasi als Leitfaden für das gesamte Design dieser Welt dienten. Ich muss auch sagen, dass es gerade dieser old fashioned Space-Fantasy-Look war, den ich auch selbst wollte. Weit entfernt z. B. vom futuristisch-cleanen „Star Trek“. Hier gleichen Raumanzüge eher Ritterrüstungen und Cockpitarmaturen denen von U-Booten oder alten Flugzeugen. Dieser Stil war es eben auch, der diese Welt für mich so interessant machte.

Szene aus „Die Krone der Sterne Band 2“ (Splitter Verlag)

Welcher Part der Visualisierung der „Krone der Sterne“ war dir der liebste? Welcher Teil war am schwierigsten?

Das Entwerfen des Scribbles, wo aus dem Skript zum ersten Mal eine Comicseite entsteht, ist definitiv für mich der liebste Part im Prozess. In der Reinzeichenphase gefällt es mir besonders, die Emotionen, das „Schauspiel“ der Akteure durch Gestik und Mimik zum Ausdruck zu bringen, wenn ich so darüber nachdenke. Und auch das spätere Kolorieren am Rechner, bei dem ich die Atmosphäre jeder Sequenz bestimmen kann, liebe ich sehr.

Du kennst noch die Zeiten, in denen der Comic mühselig um künstlerisches Prestige kämpfen musste. Heute sind Comics auf immer mehr Festivals und Cons, in der Presse und den Medien, in Hochschulen und Universitäten, in Literaturhäusern, Bibliotheken und Museen, nicht zuletzt im Buchhandel deutlich präsenter. Es gibt Stipendien, Fördertöpfe und unzählige Künstler*innen auf atemberaubendem Niveau. Es ist nicht mehr ungewöhnlich, wenn deutsche Künstler*innen im Ausland erscheinen. Auch „Das Wolkenvolk“ wurde bspw. in die Niederlande lizensiert. Ist der Marsch durch die Institutionen des Kulturbetriebs geglückt oder geht da noch mehr?

Ich finde, da ist in den letzten Jahren schon eine Menge passiert. Durch Internet, Manga und Superheldenfilme ist der Comic heute fester Bestandteil der Popkultur. Bin da zwar auch kein Experte, aber wenn ich bedenke, wie wenig präsent dieses Medium noch vor 20, 30 Jahren zumindest im deutschen Kulturbetrieb war, ist das schon eine deutliche Entwicklung. In gewisser Weise hat dieses geringe Interesse (und weil es gefühlt kaum deutsche Zeichner gab) mir damals aber auch geholfen, mich als Comicautor zu versuchen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich mich das heute noch trauen würde.

Was ich persönlich ein bisschen schade finde, ist, dass der frankobelgische oder klassische europäische Comic, der mich schon immer am meisten beeinflusst hat (ja, auch ein Großteil des Splitter-Programms), nur selten auftaucht, wenn im Netz neue Titel vorgestellt werden. Ich fänd‘s schön, wenn da in den Foren und Podcasts neben einzelnen Graphic Novels, Mangas und Superhelden in diesem Bereich noch mehr ginge.

Bild aus „Die Krone der Sterne Band 2 (Splitter Verlag)

Hat man als Comiczeichner überhaupt noch die Zeit, andere Comics zu lesen? Gibt es Gegenwartskünstler*innen oder Werke, die dich besonders beeindruckt haben?

Ich lese schon noch eine Menge Comics. Aus Budget- und Platzgründen muss ich da aber immer stärker selektieren. Künstler gibt es sehr viele: Hermann, Bourgeon, Marini, Munuera, Lepage, nur um jetzt mal ein paar Namen zu nennen. Ich glaube, da ich sehr vom Film geprägt bin, suche ich das in irgendeiner Form auch im Comic. Momentan bin ich sehr begeistert von US-amerikanischen Thriller- und Horrortiteln jenseits der Superhelden, vor allem was das Storytelling betrifft.

„Das Wolkenvolk“ war eine Fantasy-Erzählung, mit rund 400 Albenseiten womöglich die bis heute umfangreichste eines hiesigen Comic-Künstlers. Die „Krone der Sterne“-Trilogie ist eine klassische SF-Space-Opera. Da fehlt ja eigentlich nur noch eine Spielart der Phantastik. Darf man vielleicht als nächstes Werk eine Horror-Story von dir erwarten?

Wirklich konkrete Pläne gibt es im Augenblick noch nicht, dazu bin ich derzeit noch zu sehr damit beschäftigt, „Die Krone der Sterne“ zu beenden. Einige Projekte, die noch ihr berühmtes Schubladendasein fristen, existieren aber tatsächlich, also fertige Scribbles mit ausgearbeiteten Figuren und Text. Allen voran eine Story über eine Gruppe Kinder und Jugendlicher, die durch ein endzeitliches Deutschland streift. Eine Thematik, die mir heute allerdings auch schon wieder zu abgegriffen erscheint. Was mir in letzter Zeit immer mal wieder durch den Kopf schwirrt, ist so eine Art Reboot von „Schattengänger“, mehr als Graphic Novel angelegt, die sich erzählerisch wie grafisch an keine Regeln hält und auf jeden Fall nicht nur in ewiger Nacht spielt, wie es in den alten Bänden der Fall ist, denn nach der ganzen Technik und Dunkelheit in „Krone der Sterne“ könnte ich lichtdurchflutete Wälder und Wiesen jetzt auch mal wieder gut gebrauchen. Und ich denke, Horrorelemente wären da trotzdem genug vorhanden.

Dieses Interview ist als Bonusmaterial in dem Album „Die Krone der Sterne. Band 2: Hymnia“ (Splitter Verlag) enthalten.

Ralf Schlüter (Zeichner), Yann Krehl (Szenarist), Kai Meyer (Autor): „Die Krone der Sterne. Band 2: Hymnia“. Splitter Verlag, Bielefeld 2022. 56 Seiten. 16 Euro