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Bild aus "Captain America - Neuanfang" 1 (© Marvel / Panini Comics)

Der politischste aller Superhelden ist zweifelsohne Captain America, das war gestern nicht anders als heute. Bereits sein erstmaliges Auftreten hat die Form einer politischen Intervention: Die jüdischen Comicmacher Jack Kirby und Joe Simon entwarfen die Geschichte über die Wandlung des Steve Rogers zum „Cap“ – vom schwächlichen Rekruten zum blonden, durchtrainierten Supersoldaten – als Pastiche des nationalsozialistischen Ideals vom arischen Supermenschen. Als 1941 das erste von zunächst 75 Heften erscheint (danach wird die Serie 1950 vorübergehend eingestellt), bekommt niemand geringeres als Adolf Hitler die Schlagkraft des neuen Helden zu spüren. Das Titelbild der Erstausgabe hat alle ikonischen Qualitäten eines „Schlüsselbildes“ (G. Paul), in dem ein fundamentaler politischer Antagonismus genretypisch in Szene gesetzt wird.

Die Serie war also von Beginn an popkultureller Bestandteil einer Propagandaoffensive, die in den Vereinigten Staaten für eine gesellschaftliche Mehrheit bezüglich eines Kriegseintritts aufseiten der Westmächte sorgen sollte. Nach Ende des gewonnen Zweiten Weltkrieges taugten Deutsche und Japaner dann nicht mehr recht als Feindbilder, sodass Captain America im Wortsinne auf Eis gelegt wurde. (Er stürzte mit seinem Flugzeug über der Arktis ab.) Im Zeichen des Kalten Krieges erfolgte u. a. für den Kampf gegen den Sowjet-Kommunismus schließlich seine Wiederbelebung. Immer verkörperte der in den Farben der US-Flagge kostümierte Superheld die Werte von Freiheit und Demokratie, als Symbolbild des american way of life inkarnierte er aber auch dessen zentrale Widersprüche und Konflikte. Diese blieben nicht in der Latenz, sondern wurden spätestens seit den siebziger Jahren in (selbst-)kritischer Absicht immer wieder thematisiert.

Die letzten sechs Jahre brachten unter den Autoren Nick Spencer, Ta Nehisi-Coates und Tochi Onyebuchi einen zusätzlichen Schub an Politisierung. In Zeiten eines rechtspopulistischen Präsidenten, der das sowohl das multiethnische als auch das liberal-demokratische Selbstverständnis der Vereinigten Staaten mehr oder weniger offen infrage stellte, avancierte Captain America vom einstigen Propagandainstrument endgültig zur gesellschaftskritischen Trope.

In einem sehr hörenswerten Feature des Deutschlandfunk Kultur von Georg Seeßlen und Markus Metz wird der in seiner Identität erschütterte Verteidiger US-amerikanischer Werte – von denen keiner mehr weiß, was sie eigentlich bedeuten – einer psychoanalytischen Kur unterzogen. Denn so wenig selbstverständlich solche Begriffe wie Freiheit und Demokratie heute noch sind, weil sie mittlerweile selbst von der äußersten Rechten frech in Anspruch genommen werden, so sehr gerät die Existenz eines Captain America insbesondere vor dem Hintergrund seines eigenen Gründungsmythos ins Schlingern.

Die aufreibenden psychonanalytischen Sitzungen ergeben folgendes: Wenn die Identität des Helden nicht mehr aus sich selbst heraus verständlich ist – was sie ja im Grunde nie wirklich war -, so muss sie von woanders her kommen: durch die Blicke der Anderen. Seit Anbeginn konnte Captain America die immer schon ethnisch, konfessionell, sozioökonomisch (etc.) gespaltene Nation im Angesicht eines äußeren Feindes nur dann zu einer Nation zusammenschweißen, wenn es jemanden gab, der an den Sinn des Unterfangens glaubte und bereit war, dem „First Avenger“ zu folgen. Solange er also gebraucht und gesucht wird, kann er schwerlich sein Kostüm einfach an den Nagel hängen und den Schild beiseite legen. Steve Rogers hat es mehrmals versucht, und es hat nie geklappt. Seine Bedeutung als nationale Identifikationsfigur hingegen ist und bleibt unbestreitbar.

Das Feature kann man hier im DLF-Archiv und hier auf Comic.de nachhören.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 27.10.2022 auf: Taz-[ˈkɒmik_blɔg]

Mario Zehe (*1978) ist Politikwissenschaftler und arbeitet als Lehrer für Geschichte, Politik & Wirtschaft an einer Freinet-Schule bei Quedlinburg (Harz). Seit vielen Jahren liest er Comics aller Art, redet und schreibt gern darüber, u. a. im [ˈkɒmik_blɔg] der Taz und für den Freitag.