Fantasy mit leiser Musikalität

Der Comic-Künstler Phillip Craig Russell ist eine Ikone des US-amerikanischen Superhelden-Comics. Er hat das Szenario von „Batman“ mit entwickelt und vielfach ausgezeichnete Klassiker wie „Sandmann“ oder „Hellboy“ geschaffen. Und er setzt sich in seiner Arbeit immer wieder mit Klassikern auseinander: Gerade ist seine Comic-Adaption von Richard Wagners „Der Ring des Nibelungen“ erschienen.

Wie eine Operninszenierung sieht P. Craig Russells Wagner-Adaption auf den ersten Blick nicht aus. Eher wie eine Fantasy-Abenteuer mit Popkulturelementen: Die Rheintöchter wirken, als wären sie dem Disney-Film „Arielle, die Meerjungfrau“ entsprungen. Und Alberich, der das Rheingold raubt, wirkt im Laufe von „Rheingold“ zunehmend wie der vom Ring korrumpierte Gollum aus „Herr der Ringe“. Der Comic zeigt: „Der Ring des Nibelungen“ ist schon lange vor Craigs Comic-Adaption in die Popkultur eingegangen.

Russell hält sich inhaltlich an Wagners Libretti und hat sie für seinen Comic in eine zeitgenössische Sprache übersetzt. So wirkt der Stoff der Sage, in der der Raub des Goldes und ein unbedachtes Versprechen Wotans die Welt der Götter immer tiefer in den Abgrund reißt, nahbar. Und: Craig erzählt chronologischer als Wagner und baut in seinen Bildern Erklärungen ein, die dem mit Mythen vertrauten Publikum Wagners bekannt waren. „Inzest – Inzest“ schnarcht zum Beispiel Siegmund, nachdem er Sieglinde in die Arme geschlossen hat. Eine Geschwisterbeziehung also, die nur schiefgehen kann.

Bild aus „Der Ring des Nibelungen“ (Cross Cult)

Wirklich brillant – auch im wahrsten Sinne des Wortes – ist dieser Comic wegen der Zeichnungen von P. Craig Russell. Flächig klare Hintergrundfarben lassen den Gott Wotan ebenso strahlen wie Siegfrieds Schwert. Dann wieder zeichnet Russel die Szenerie naturalistisch oder skizziert die Erinnerungen der Held*innen mit ausgearbeiteten Buntstift-Zeichnungen. Etwa als Siegfried erkennt, dass der Schmied, der ihn aufzog, nicht sein Vater ist.

Allein die wechselnden Zeichenstile bringen einen abwechslungsreichen Rhythmus in die Erzählung. Den Rhythmus von Wagners Oper zeichnet Russell, indem er musikalische Motive aufgreift und immer wieder assoziativ montiert. Das Schwert etwa, das Wotan erschafft, um die Welt der Götter zu retten, entsteht aus einem Wassertropfen, der eine zarte Pflanze wachsen lässt. Diese Motive – Tropfen, Pflanze und Schwert – montiert Russell in Schlüsselszenen der Erzählung. Diesen Rhythmus zieht Russel bis ins Finale der Götterdämmerung durch, in dem der lebensspendende Wassertropfen sich in die Blutstropfen des Gemetzels verwandelt.

P. Craig Russell zeichnet mit seiner Adaption von Wagners „Ring des Nibelungen“ einen furiosen Fantasy-Comic, der zugleich nah an der Vorlage bleibt. Weil er stringent die Handlung herausarbeitet und die musikalischen Motive elegant in Zeichnungen übersetzt.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 02.03.2023 auf: kulturradio rbb

Phillip Craig Russell: Der Ring des Nibelungen • Aus dem Englischen von Stephanie Pannen • Cross Cult, Ludwigsburg 2023 • 449 Seiten • Hardcover • 49,99 Euro

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.