Langohriger Flattermann

Den Batman-Mythos auf seinen reaktionären Kern abzuklopfen, ist nicht allein Frank Millers Verdienst. Bernie Wrightson und Jim Starlin haben Ende der 1980er mit „Der Kult“ einen weitaus beeindruckenderen Beitrag vorgelegt.

Oftmals geraten Batman-Verkörperungen wie heroische Überbleibsel des 1980er-Jahre-Actionkinos: Ein grimmig dreinschauender Muskelberg wirft mit flotten Sprüchen um sich, bis er schließlich ganz nebenbei die Welt vor irgendwas und irgendwem rettet. Jim Starlin und Bernie Wrightson haben in den späten 1980er Jahren mit „Der Kult“ eine vierteilige Miniserie geschaffen, die sich an den stereotypen Batman-Charakteren abarbeitete. Sie schufen einen schwachen, ängstlichen, manipulierbaren Flattermann – flatterhaft durch und durch. Dieser Klassiker wurde kurz nach der DC-Originalveröffentlichung bei Hethke auf Deutsch publiziert. Panini hat nun eine deutschsprachige Gesamtausgabe veröffentlicht.

Während in „Der Kult“ die Zahl der in Gotham City verübten Verbrechen abnimmt, wird auch die Zahl der Obdachlosen, die immer schon Ausdruck einer dysfunktionalen Sozialordnung in dieser Stadt waren, immer geringer. Wer dahinter ein erfolgreiches Projekt der Sozial- und Wirtschaftspolitik der Stadtverwaltung oder die Abschreckung durch den Dunklen Ritter vermutet, liegt völlig falsch. Der verdächtig langlebige Diakon Blackfire hat die Schwächsten der Schwachen in den Untergrund der Stadt gelockt, um diese als Armee gegen die finsteren Gesellen zu instrumentalisieren. Mit religiösem Fanatismus und wahrnehmungserweiternden Drogen macht er schließlich nicht nur die Stadtstreicher gefügig, sondern auch Batman. Immerhin: Die Straßen werden sicherer, und der diabolische Diakon ist eigentlich nur ein konsequenterer Vigilant, als Batman es ist.

Sequenz aus „Batman – Der Kult“ (Panini)

Jim Starlin („Ein Tod in der Familie“) hat eine bissige und blutige Satire auf religiösen Fundamentalismus, hilflose Massenmedien und die Verführbarkeit durch durchsetzungsstarke Despoten geschrieben, und letztlich muss man auch die Legitimation des Dunklen Ritters hinterfragen, wenn man die Taten des Diakons missbilligt. Trotz der knalligen 80er-Jahre-Ästhetik, die dem Comic sehr anzusehen ist, ist die Story ungemein düster. Düster sind etwa die Absichten Blackfires, Batman in blutreichen Folterszenen von seinem Glauben und vor allem seiner messianischen Persönlichkeit zu überzeugen. Der Law-and-Order-Aktivist ist eine Persiflage auf die konservative Ära unter dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan.

Der Comic steht deutlich unter dem Einfluss von Frank Millers bahnbrechendem „The Dark Knight Returns“ (1986) – das zeigt sich in der gebrochenen Figur Batmans, den Wrightson oft in seiner Verzweiflung und Hilflosigkeit darstellt, mit untypisch überlangen Fledermausohren. Faszinierend sind auch die punktuellen Bildzitate, die seinen Kniefall vor dem Miller-Meilenstein bezeugen und ihn zugleich in mancher Hinsicht übertreffen. Die berühmte Origin-Story-Sequenz hat Bernie Wrightson („The Swamp Thing“) fast 1:1 von Miller übernommen, und auch die implementierten TV-News-Passagen mit den abgerundeten Panels erinnern stark an Millers Klassiker. Während Batman sich also an seine Origin Story erinnert, müssen die Leser*innen an Frank Miller zurückdenken.

Während dieser aber nach dem brillanten ersten Heft doch stark nachließ, können Starlin und Wrightson ihr Niveau halten. Das Ergebnis ist erzählerisch sogar stärker als Millers kanonische Neuinterpretation, deren Verdienst darin besteht, die Figur grundsätzlich umgekrempelt zu haben. Starlin und Wrightson führen diese Entwicklung weiter und zeigen einen langohrigen Batman am Rande des Abgrunds balancierend: so kraftlos, machtlos und willenlos, wie man ihn sonst nicht kennt. „Der Kult“ gehört zu den interessantesten Batman-Comics überhaupt.

Jim Starlin (Autor), Bernie Wrightson (Zeichner): Batman – Der Kult • Aus dem Englischen von Katrin Aust • Panini, Stuttgart 2022 • 212 Seiten • Softcover • 29,00 Euro

Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.